Zum Inhalt springen

Gemeinschaft (5)

Auszug aus dem Buch „Blue like Jazz – Nonreligious thoughts on Christian Spirituality“ von Donald Miller(Hier geht’s zum Anfang der Serie „Gemeinschaft“)* * *

Ich mochte sie alle sehr, aber wir hatten es nicht einfach miteinander. Ich war ein hartgesottener Einsiedler, bevor ich zu den Männern in Graceland einzog. Wenn man jahrelang alleine lebt, fängt man an zu glauben, die Welt gehöre einem alleine. Du fängst an zu glauben, jeder Raum hat Platz für dich und die Zeit gehört dir allein. Es ist wie im Film „About a boy oder: Der Tag der toten Ente“ wo die Hauptfigur, gespielt von Hugh Grant, glaubt, das Leben sei ein Spiel um ihn selber und alle anderen spielen nur kleinere Nebenrollen um seine eigene große Hauptrolle herum. Mein Leben war genau so. Eine Geschichte nur über mich, weil ich ja auch in allen Szenen vorkam. Eigentlich war ich sogar der einzige in jeder Szene. Wohin ich auch ging, ich war dabei. Wenn jemand meinen Weg kreuzte konnte das frustrierend sein, schließlich war das ein Störfaktor im großen Aufbau der Geschichte über mich und meine Ehre. Manchmal hatten wir natürlich kleine Auftritte miteinander, zum Beispiel einen kleinen Dialog. Dann sprachen sie ihre Zeilen und ich meine. Aber der eigentliche Film, dieser Epos von Adam bis zum Antichrist, ging eigentlich nur um mich. Damals hätte ich das wohl nicht so ausgedrückt, aber ich habe trotzdem genau so gelebt. Tuck war einer meiner besten Freunde als er einzog. Das ist er immer noch, aber zwischendurch wollte ich ihn am liebsten umbringen. Er wollte nämlich einfach nicht einsehen, dass das Leben ein Film über mich war. Keiner hatte ihm das je gesagt. Er klopfte einfach an meine Tür, während ich ein Buch las, kam einfach rein, und setzte sich doch frechweg auf den Stuhl gegenüber. Und dann wollte er reden! Er wollte hören wie es mir ging und wie mein Tag so war. Ich glaubte es nicht. Diese Dreistigkeit, einfach in mein Zimmer zu kommen, meine Bühne, und den offensichtlichen Verlauf der Geschichte mit seinen Fragen zu stören, wie es mir denn so ginge! Ich gab Tuck also kleine Signale, dass ich nicht reden wollte. Signale wie rollende Augen oder knappe Antworten. Half das nichts, starrte ich einfach in den Raum, so dass er meinen sollte, ich sei verrückt. Oder ich begann zu schnarchen, so dass er meinen sollte, ich sei eingeschlafen. Ich glaube, ich habe ihn damit verletzt. Er war jedenfalls ziemlich frustriert wegen mir, ging wieder die Treppe hoch und fragte sich, warum ich nur dieses merkwürdige Verhalten zeige. Nach nur wenigen Malen begann Tuck, mich völlig links liegen zu lassen, weil er mich für einen Vollidioten hielt. Ehrlich gesagt wäre darüber fast unsere Freundschaft draufgegangen. Ich mochte das Gefühl nicht, mit anderen zusammenarbeiten zu müssen. Manchmal hatten wir WG-Besprechung und sprachen darüber, wer seine Hausarbeit nicht machte oder dreckiges Geschirr in der Spüle ließ, und immer, wenn ich beschuldigt wurde irgendwas nicht getan zu haben, schlug ich natürlich sofort zurück. Es war ja offensichtlich, dass alle anderen im Unrecht waren. Zu der Zeit konnte ich nicht sehen wie gemein ich war. Ein paar Mal stand Trevor einfach auf und ging raus. Und zwar immer wegen mir. Die anderen hatten alle schon mal in WGs gelebt. Die wussten schon, wie das so ist. Das Leben in der WG zeigte mir einen meiner Fehler: Ich war buchstäblich selbstsüchtig. Das einzige, worum ich mich wirklich kümmerte, war ich selbst. Ich hatte kaum eine Vorstellung von Liebe, Selbstlosigkeit oder Opfer. Mir fiel auf, mein Kopf ist wie ein Radio, das nur einen einzigen Sender empfangen kann: Radio Don, Antenne Don, Don, Don, immer nur Don. Ich verstand nichts von echtem Austausch in tieferen Dialogen, wenn zwei Leute da sitzen und versuchen, eine Zeitlang das eigene Radio auf die Frequenz des anderen einzustellen. Es muss Tuck weh getan haben, verzweifelt zu versuchen, meinen Sender reinzukriegen, um dann von mir vom Tisch gefegt zu werden. Weil ich so lange allein gelebt hatte, wurde ich sehr empfindlich wenn es darum ging, dass jemand in mein Hoheitsgebiet eindrang. Meine persönliche Blase war riesig. Ich konnte keine Gespräche über zehn Minuten führen. Ich wollte Effizienz im persönlichen Umgang, und wenn ich jemanden zuhörte, fragte ich mich sehr oft, warum er denn nicht endlich mal sagt, was er eigentlich will. „Was willst du mir sagen?“ dachte ich jedes Mal. „Müssen wir denn hier rumstehen und Smalltalk betreiben?!“ Tuck erzählte mir später, dass er sich in den ersten Monaten in der WG von mir verurteilt fühlte, als ob irgendwas mit ihm nicht stimmen würde. Er fühlte sich nicht geschätzt, wenn er anwesend war.* * *Fortsetzung folgt hier
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert