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Gemeinschaft (8)

Auszug aus dem Buch „Blue like Jazz – Nonreligious thoughts on Christian Spirituality“ von Donald Miller(Hier geht’s zum Anfang der Serie „Gemeinschaft“)* * *

Im Frühling meines Jahres auf Graceland, als der Boden noch dabei war zu trocknen, fuhr ich mit einem Freund nach Salem um dort Brennan Manning zu hören. Manning war mal katholischer Priester und ist ein toller Autor, der sehr mit Alkohol zu kämpfen hatte; er spricht offen darüber und über Angelegenheiten der christlichen Spiritualität. Wir saßen so weit vorne, dass ich in Mannings blaue Augen sehen konnte, und dort sah ich dieses Funkeln der Aufrichtigkeit, welche nur solche Menschen in sich tragen, die die Tiefen ihres Lebens zu einem Dienst an anderen Menschen zu verwandeln vermochten. Brennan wuchs in New York auf und spricht mit leichten Ostküstendialekt, der durch jahrelanges Rauchen aufgeraut wurde. Ein Ohr hat schwer zu tun wenn es mit Brennan mithalten will. Er begann seine Rede mit der Geschichte von Zachäus. Brennan sprach darüber, wie eine ganze Stadt mit ihrem lächerlichen Hass nicht in der Lage war, diesen kleinen Mann davon abzuhalten, sie zu knechten mit seinen verschwenderischen Zöllen, die er einnahm. Doch dann spazierte Jesus durch das Städtchen, sagte Brennan, und sah ihn. Jesus sagte Zachäus, dass er gerne bei ihm essen wolle. In dem einzigen Gespräch, welches Jesus mit Zachäus führte, ging es um Bekräftigung und Liebe, machte Brennan klar, und der Zöllner verkaufte schließlich seinen Besitz um denen Schadenersatz zu leisten, die er zuvor bestohlen hatte. Es war die Warmherzigkeit Jesu und nicht der Hass des Stadt, die Zachäus Heilung brachte. Manning sprach weiter über die Gefahren einer rauen Welt und wie leicht das Herz und der Geist eines Menschen durch die Unliebe der Welt verdorben wird; dass wir hingegen aber als Repräsentanten der Gnade und Liebe Gottes unser Reden stets mit Liebe und Mitgefühl würzen sollen. Während Manning sprach, wurde mir deutlich, wie ich selber eigentlich bin, und ich spürte Gottes Stimme, die mich einlud, mich zu ändern. Gott bot mir an, die Lügen über mich selbst und die Welt zu verlassen. Ich hatte nichts als Unliebe zu meinen Mitbewohnern kommuniziert, weil ich dachte, sie wollten den Sinn des Lebens nicht verstehen, nämlich meine Wünsche und meinen Willen und meine Entscheidungen und meine Bequemlichkeit. * * * In meinem Jahr auf Graceland habe ich es geschafft, alle Jungs irgendwann mal zu verletzen. Dieses Gemetzel wieder gutzumachen braucht viel Zeit. Mit jedem einzelnen musste ich Dinge wiedergutmachen. Ich hab’s dort wirklich so richtig vermasselt. Jeremy zum Beispiel, der Junge mit dem Militärhaarschnitt, konnte mich überhaupt nicht mehr leiden. Einmal bin ich mit meinem Auto ins Garagentor gefahren, aber ich habe mich geweigert, das Tor zu reparieren. Jeremy stellte sein Motorrad in der Garage ab und musste nun täglich das kaputte Tor benutzen. Mein Zimmer war direkt über der Garage, und jedes Mal, wenn Jeremy morgens um fünf zur Arbeit ging, drehte er seine Maschine mal kurz so auf, dass ich glaubte, jemand habe direkt neben meinem Bett einen Rasenmäher gestartet. Ich wurde rasend, und später am Abend fragte ich ihn mal, ob man da nicht was machen könnte. Er sagte einfach nein, er brauche sein Motorrad halt. Und das stimmte ja auch. Jedes Mal also, wenn Jeremy morgens um fünf Schwierigkeiten hatte, das beschädigte Tor zu öffnen oder schließen, wurde er wütend auf mich, dann drehte er seine Kiste voll auf und ich wurde wütend auf ihn. Bei der ganzen Sache ging es selbstverständlich nicht um ein Garagentor und ein Motorrad. Es ging darum, ob wir uns gegenseitig respektierten, ob wir uns mochten oder nicht. Eines Abends sprach ich im Keller mit Tuck, als er gerade Bodybuilding machte. Ich wollte meine Wäsche zu erledigen, während er da unten ist, aber irgendjemand hatte seine Wäsche im Trockner gelassen. Es gab keinen Platz, wo ich sie hätte hintun können, also tat ich sie einfach auf den Boden. Ich hab da gar nicht groß drüber nachgedacht und ich fand, der Boden war ziemlich sauber, aber später sollte sich herausstellen, dass dies Jeremys Wäsche war. Als er nämlich später nach Hause kam, schrieb eine Notiz an denjenigen an die Tafel, der seine frisch gewaschenen Klamotten auf den Boden geschmissen hatte. Eigentlich hatte ich sie gar nicht geschmissen, ich hab sie bloß dahinsortiert, aber egal, er war ganz schön aufgebracht. Ich sagte ihm, dass ich es gewesen sei und entschuldigte mich. Er wurde so wütend, dass er erstmal an die frische Luft musste. Dies war der letzte Tropfen gewesen. Als er wiederkam fragte ich, ob wir mal reden könnten. Ich sagte ihm, es sei nun an der Zeit. Er wollte eigentlich nur ausweichen und das Gespräch vermeiden, so böse war er auf mich. Ich hab ihn aber nicht gelassen. Ich wollte mich wirklich entschuldigen. Ich sagte ihm, dass ich mich ziemlich ignoriert fühle, wenn er morgens seine Maschine so aufdreht, dass ich ihm deswegen am liebsten ständig eins auswischen wolle, dass dies aber oft eher unterbewusst geschieht, durch kleine Bemerkungen oder so. Ich hatte ihm nie gesagt, dass ich am Anfang unserer Zeit immer das Gefühl hatte, er würde mich nicht mögen – wo ich mir doch genau das so gewünscht hätte. Stattdessen war ich stolz und passiv-aggressiv. Und darum ging es so aus wie es war. Und ich sagte ihm, dass ich mich mies fühlte. Ich habe ihn wegen gar nichts beschuldigt, was aus heutiger Sicht sehr, sehr wichtig war. Ich sagte außerdem, dass ich keinerlei Gegenleistungen von ihm erwarte. Ich fand nicht, dass er mir irgendetwas schuldig war. Jeremy hörte sehr aufmerksam zu, nachdem sein Gemüt wieder runtergekommen war. Seine Reaktion war klasse. Er sagte mir, wie sehr er mich mochte, und das bedeutete mir mehr als alles in der Welt. In diesem Augenblick spürte ich allen angesammelten Ärger wegschmelzen. Ich wusste plötzlich gar nicht mehr, worüber ich mich eigentlich so geärgert hatte. Als Jeremy am nächsten Morgen zur Arbeit fuhr, bin ich noch nicht mal aufgewacht. Kürzlich war ich in San Francisco in einer Pension für solche Leute die in der Stadt irgendeinen geistlichen Dienst tun. Es war nur ein kleines Haus, aber gefüllt mit ungefähr 15 Personen. Bill, der Hausvater, war ständig dabei, entweder Mahlzeiten vorzubereiten oder hinter uns herzuputzen, und mir fiel seine außergewöhnliche Geduld und Freundlichkeit auf. Mir fiel auf, dass nicht alle Gäste ihr Geschirr selbst spülten, und nur sehr wenige dankten ihm fürs Essenkochen. Eines Morgens tranken Bill und ich Kaffee im Speisezimmer noch bevor jemand anderes aufgestanden war. Ich erzählte ihm, wie ich mal mit fünf Männern in einer WG gelebt hatte und wie schwierig das für mich war, weil ich einfach Raum für mich und Privatsphäre brauche. Ich fragte ihn, wie er das denn schaffe, immer so nett und freundlich zu bleiben, obwohl so viele seine Freundlichkeit doch nur ausnutzten. Bill stellte seine Tasse auf den Tisch und sah mir tief in die Augen. „Don,“ sagte er, „wenn wir nicht bereit sind, morgens aufzuwachen und uns selbst zu sterben, vielleicht sollten wir uns dann mal fragen, ob wir Jesus überhaupt nachfolgen.“ * * *Endedes Kapitels „Community“ aus benanntem Buch. Eigene Übersetzung.
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