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Die „Begleiter“ sind wieder da

Nach der Sommerpause begann heute unser Dienst als „Medvandrare“, als Begleiter in Schwedens größtem Second-Hand-Laden. Mir fiel auf, dass sich zwar sicher mehr als 600 Kunden durch den Laden drängten, aber fast kein bekanntes Gesicht darunter war. Nun gut, dann fängt man eben nochmal ganz von vorne an. Ich bin gut gelaunt und freue mich auf die Menschen. Um Punkt 10 öffnen die Türen, und die vor der Tür wartende ca. 50 Meter lange Menschenschlange zwängt sich mit Hochdruck in den Laden. Die allerersten laufen, als rennten sie um ihr Leben, Stühle, Hocker, Schallplatten suchend und laufenderweise aufnehmend und tragend. Für manche ist Second-Hand eine Lebensphilosophie. Nach 10 Minuten und später kommen die eher relaxten Besucher. Ich stehe neben unserem Medvandrare-Roll-up am Rande des Cafébereiches und versuche alle Passanten freundlich zu begrüßen und willkommen zu heißen. Wie gesagt, kein bekanntes Gesicht dabei heute. Ich präge mir die Gesichter so gut es geht ein. Ca. 60 von 100 sind Einwanderer, der Rest Schweden. Alter vom Säugling bis zum Greis.

Und wieder mal fällt mir auf, dass man in Schweden niemanden in die Augen sieht. Die Menschen weichen mir aus. Von 100 Leuten, die an mir vorübergehen, schauen mir nur 10 ins Gesicht. Grüße ich sie, so wagen es nur 3 oder vier, mich anzuschauen und zurückzugrüßen. Hud McWilliams, der uns vor Kurzem besuchte, sagte immer nach seinen Spaziergängen: „Heute habe ich drei Menschen gezwungen, mich zurückzugrüßen. Wenn auch nur grummelnd.“ Oder: „Heute waren es zwei. Ich weiß nicht, was mit diesen Schweden los ist, sie tun alles mögliche, bloß um einen nicht ansehen zu müssen.“ Welcome to Sweden, Hud.
Als Medvandrare „zwinge“ ich auch manchmal Menschen, mit mir zu reden. Heute war es zum Beislpiel die junge Familie, die einen Brotbackautomaten auf dem Kinderwagen stehen hatte. „Von heute an wird das Brot also selber gebacken, oder?“ Manchmal funktioniert’s und die Leute reagieren. Manchmal sehen die Leute einen an als hätte ich ein unmoralisches Angebot unterbreitet. Heute hat’s ganz gut funtioniert.
„Ich schätze Deine Jacke wirklich sehr!“ sagte ich zu dem arabisch sprechenden jungen Mann. Es war nämlich eine Trainingsjacke der deutschen Fußballnationalmannschaft. „Ich komme nämlich aus Deutschland“, fügte ich erklärend hinzu. „Die habe ich in Grmblhangft gekauft.“ grummelte er und verschwand. Ich konnte nicht mehr fragen, wo genau denn Grmblhangft liege.
Manchmal läuft es auch umgekehrt. Da war die Frau, die mich heranpfiff und ihren Pfiff mit einer Handbewegung unterstrich, die ich als Herrchen im Hundekurs hätte gelernt haben können. Wieviel dieses Bett denn koste, wollte sie wissen und tippte auf das deutlich lesbare Preisschild. Ich las ihr den Preis vor und sie meinte, ob das denn mein voller Ernst sei, so ein olles Bett für diesen Preis zu verkaufen. Ja, ist es. Dann wolle sie aber sieben Matratzen dazu haben. Ich nannte ihr den Preis von Bett plus sieben Matrazen, worauf sie sich augenrollend von mir abwandte.
Einer schmeißt ein Glas aus dem Regal und schaut sich unsicher um. Ich gehe hin und helfe, die Scherben zusammenzufegen. Ein anderer bittet mich, den Fernseher doch mal anzuschließen, um das Bild testen zu können. Und dann fragt mich diese Frau, warum ich eigentlich hier herumstehe. Es sei doch nutzlos, zu versuchen, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Keiner wolle Kontakt haben. Die Schweden fühlten sich viel zu gut in ihrer einsamen Blase und das kuriose sei, dass die Ausländer nach kürzester Zeit begännen, die Schweden zu imitieren. Besser ginge man also nach Hause und täte was sinnvolles. Zu versuchen, mehr Kontakt zu den Leuten aufzubauen, sei absolut hoffnungslos. Hat sie gesagt.
Naja. Eigentlich bin ich mit viel Vorfreude zu meinem Dienst gegangen. Auf dem Weg heim fühlte ich mich hingegen leer und weggefegt. Vielleicht geht es Jesus ja auch manchmal so, frage ich mich. Er ist da, doch niemand sieht ihn an. Alle sehen vorbei, sehen nur die vielen tollen gebrauchten Sachen in den Regalen stehen. Die Supersonderangebote. Vielleicht meinen viele ja auch, Jesus stehe nur dumm rum und sollte lieber mal was sinnvolles tun. „Er kam in seine Welt doch die seinen nahmen ihn nicht auf“, heißt es in Joh 1. So lange Jesus aber da bleibt und uns diese Aufgabe gibt, bleiben wir auch als Begleiter, als Medvandrare.
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