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Angenommene Vermutungen

„Wat is en Dampfmaschin?“ fragte Lehrer Bömmel

„Da stelle mer uns ma janz dumm…“ Manchmal isset jar nich so verkehrt, sich janz dumm zu stelle und so zu tun, als wüsste man gar nichts. Denn wer nichts weiß, muss alles lernen. Wer glaubt zu wissen, passt nicht auf. Der Schlaue fragt, wie meinst du das? Der Dumme glaubt, er weiß es schon.

In jeder Beziehung gibt es Dialoge, die perfekt aneinander vorbeireden. Jeder glaubt zu wissen, was der andere meint, und damit verfehlt jeder sein Ziel. Im schlimmsten Fall erreicht man sogar genau das Gegenteil von der eigentlichen Absicht.

Nach zehn Jahren internationalem Dienst weiß ich sehr gut, wovon ich rede. Im interkulturellen Umgang vervielfacht sich das Potential zum gelungenen Missverständnis. In fast jedem einzelnen Fall war die Annahme, man wisse ja schon, was der andere meine, der fatale Auslöser zu lustigen und weniger lustigen Verstrickungen.

Ganz besonders jetzt spüre ich das, jetzt, wo ich seit zwei Jahren in den Leitungskreisen einer US-amerikanischen Organisation mitmische. Viele Europäer und Amis leben in der Annahme, dass wir uns recht ähnlich seien. Die Wahrheit ist: Wir sind es nicht. Wir denken, leben und leiten verschieden. Wir sehen nur ähnlich aus. Alles andere basiert auf Vermutungen.

Während meiner ersten acht Jahre in Schweden war ich derjenige, dessen Aufgabe es war, eine offene und multikuturelle Atmosphäre des gegenseitigen Lernens und Verstehens zu schaffen und zu moderieren. Daher auch der Name H2O (Hoffnung, gegenseitiger Respekt [Hänsyn], Fürsorge [Omsorg]). Das war schwierig, doch trotz aller Herausforderungen glaube ich, dass es uns zu einem guten Teil gelungen ist. Unser großer Vorteil war, dass wir janz dumm jekommen sind. Wir waren stets Mitlernende, nie Allwissende.

Seit zwei Jahren hat sich etwas Entscheidendes geändert. Einerseits leite ich weiterhin ein phantastisches Team, dass die Notwendigkeit des Lernens verinnerlicht hat – eine Grundvoraussetzung in dieser Zeit massiver Veränderungen. Alle meine amerikanischen Teammitglieder haben viele Jahre Europaerfahrung, manche sogar eine europäische Staatsbürgerschaft, beherrschen eine oder mehere europäische Sprachen fließend. Ein kreatives Dream-Team für die Mission! Andererseits bin ich nun auch Teil des restlichen Leitungssystems einer wachsenden Organisation – und dort fühle ich mich als einzige Europäer und einziger in Europa lebender eher wie Sand im Dampfmaschinengetriebe. Ich störe, es ruckelt, es knirscht – und ich selbst werde zermahlen. Unabsichltich zwar, doch das ist, was ein Getriebe mit Sand macht, nicht wahr? Vielleicht ist es ein schlechtes Bild, doch es drückt aus, wie es mir geht. Und viel hat damit zu tun, dass Amerikaner annehmen, ich müsste ihnen doch so ähnlich sein. Schließlich sind wir doch Christen.

Noch weiß ich nicht, was das zu bedeuten hat. Doch ich weiß, dass mich die vergangenen zwei Jahre mehr Kraft gekostet haben als die acht davor zusammen. Nicht etwa wegen der vielen Arbeit und dem Reisen, oh nein! Ich liebe Reisen und ich mag es, hart zu arbeiten. Es sind die unterschwelligen Annahmen, die auf die Dauer zermürbend sein können und unsicher machen. Im Umgang mit meiner eigenen Unsicherheit lasse ich mich bisweilen von Lehrer Bömmels humorvollen Art inspirieren: Sich einfach jans dumm stelle.

Da denken mer uns, mer sin inne jroße, schwatze, runde Raum. 
Unn dieser gjoße Raum hat zwei Lösher. 
Dursh dat eine Loch, da simmer rinjekommen. 
Unn zu dem anderen Loch, da komme mer später. 

So der Herr will.

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