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Gebetskrücken

Mein schwedisches Gebetsbuch

Wenn’s dick kommt, leidet das Gebet. Soviel ist sicher. Es erfordert Disziplin, aus überquellenden Terminkalendern regelmäßige Gebete auszugraben, die mehr sind als nur Stoßgebete. Und wenn man mal kurz Zeit hätte, zum Beispiel im Bus oder Wartesaal, fehlen die betenden Worte. Man ist müde und das Hirn zu blank zum Beten.

In den letzten Jahren habe ich versucht, Wege zu finden, mein Gebet trotz langer, voller Tage zu fördern. Denn ein lebendiger Kontakt zu Gott ist (über-) lebenswichtig für mich. Lobpreismusik hilft mir nicht, meist weil mir die ewig sonnigen Texte zu flach und zu ich-mir-mein-mich-bezogen sind. Sie spiegeln kaum mein Seelenleben wider.

Vor Jahren entdeckte ich eine unerwartete Ressource: Das Stundengebet. Erst war ich etwas empört, dass so viele schwedische Freikirchler so bereitwillig eine „katholische“ Tradition in ihr Gebetsleben einbauten. Außerdem reagiere ich seit dem Konfirmandenunterricht in der evangelischen Landeskirche immer noch allergisch auf jede Art von Liturgie. Doch sehr bald musste ich einsehen, dass es sich um einen Schatz handelt.

Das mir nun vertraute schwedische tidebön geht von vier Gebetszeiten täglich aus: Morgengebet, Tagesgebet, Abendgebet, Nachtgebet. Die Gebete ändern sich von Tag zu Tag und sind an das Kirchenjahr angepasst. Das Stundengebetsbuch findet sich in vielen Freikirchen und seit Jahren auch in meinem Regal. Doch wichtiger als das Buch ist mein App auf dem Handy.

Anfang des gestrigen Morgengebets auf meinem Handy.

Sobald sich eine Gelegenheit zum Beten ergibt, öffnet man das App, und es bietet sofort das aktuelle Gebet an, welches man diskret lesen und beten kann, egal wo man ist. Auf diese Weise kann man alle vier oder auch nur ein Gebet am Tag beten.

Warum mag ich es so? Um das erklären zu können, habe ich gestern nach einer deutschen Variante des Stundengebets gesucht und gefunden.

Der Anfang des deutschen Morgengebets für den gestrigen Tag.

Was zunächst auffällt, ist der ständige Ausruf: Gott, komm mir zu Hilfe. Herr, eile mir zu helfen. Das ist trifft den Zustand meiner Seele schon besser. Gott, ich brauche Dich im täglichen Chaos! Doch dieser Hilferuf ist ständig gekoppelt an „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.“ Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe. Diese Erinnerung vermisse ich in den meisten modernen Gemeindeliedern.

Die meisten Gebete sind reine Bibeltexte, meist aus den Psalmen. Dies gefällt mir, weil der Psalter das Gebetsbuch Jesu ist. Damit bete ich die selben Gebete, die Jesus schon gebetet hat. Und wenn mein Hirn zu blank zum Formulieren ist, so finde ich hier alles fertig. Angepasst an die jeweilige Tages- und Jahreszeit. Außerdem sind die Psalmen ehrlich. Da ist nicht alles immer toll und strahlend, Gott nicht immer unser bester Kneipenkumpel. In den Psalmen werden harte Fragen gestellt. Die Psalmen kann man blass und unrasiert beten, man muss sich nicht erst aufstylen. Das Leben ist hart, oft genug versteht man es nicht. Manchmal versteht man Gott noch weniger. Es tut wirklich gut, regelmäßig ehrlich zu beten.

Außer Gebeten finden sich regelmäßige kurze Lesungen von anderen Bibeltexten. Auch Texte von Kirchenliedern kommen vor. Die Kirchenlieder können gut sein, meistens überspringe ich sie aber.

Jedes Morgen- Tages- oder Nachtgebet hat in der Regel seinen eigenen, immer wiederkehrenden Abschluss (jedenfalls in der schwedischen Version). Auf diese Weise bildet sich ein Repertiore aus auswendig gelernten Gebeten und Phrasen, die man auch beten kann, wenn mal kein Handy zur Hand ist.

Das deutsche App lädt alle Gebete für die kommenden Wochen herunter, so dass man auch offline beten kann.

Man muss nicht so beten. Ich tue es nur in Ausnahmefällen, wenn ich z.B. über mehrere Wochen Arbeitstage mit bis zu 16 Stunden habe, verreise, mein Hirn voller Infos und mein Geist voller Eindrücke ist und meine Seele nicht mehr hinterher kommt. Dann kann jeder Ort zu einer Kapelle werden und jede Pause zu einem Gottesdienst.

Und weil ich vermutlich nicht der einzige bin, dem es so ergeht, möchte ich es hier empfehlen.

Die OSX-Variante des verwendeten Apps kann hier gefunden werden.
Die Android-Version findet sich hier.
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