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Was, wenn das ein Krieg wäre?

Eigentlich sollte ich jetzt gar keine Blogposts schreiben. Eigentlich sollte ich mit einem Glas Saft im Garten sitzen, oder zumindest den Garten endlich mal wieder in Schuss bringen, den wir über viel zu viele Jahre haben verwildern lassen. Doch Gartenarbeit ist bei dieser Affenhitze eine Qual, der tropfende Schweiß ist die einzige Flüssigkeit, die unser verbrannter Rasen derzeit bekommt. Der angekündigte Dauerregen wurde nämlich erst stündlich, dann täglich verschoben, mittlerweile zeigt die Vorhersage schon seit Wochen bestenfalls ein paar Wolken an, die dann und wann ein wenig Schatten und damit Kühlung versprechen. Selbst die kleinen Tümpel im nahen Wald, an denen ich jahrelang täglich mit unserer Hündin vorbeispaziert bin, ein zuverlässiger Quell der Freude übrigens, weil immer vom Grundwasser gespeist und je nach Jahreszeit Heim unterschiedlichster Lebewesen, sind schon lange ausgetrocknet. Niemals hätte ich gedacht, dass ich je Kaulquappen betrauern würde, die gar nicht erst gezeugt wurden. Immerhin gedeiht unser neuer Gemüseanbau, Tomaten, Kräuter und Ruccola wuchern regelrecht, und ich bin täglich dankbar, dass wir trotz Regenmangel immer noch genug Wasser zum Gießen, Duschen und Trinken haben.

Doch selbst im Urlaub kann man sich der Nachrichten nicht entziehen, man bekommt besorgte SMS oder gar ganze Tageszeitungen aus der Heimat zugeschickt, wo gerade das Gegenteil von Trockenheit herrscht: Ein furchterregender Überschuss an Wasser. Gleichzeitig öffnen sich die Schleusen unten und oben, was als harmloser Regen begann, wird binnen Minuten zum tödlichen Monster, das wütet und mit sich reißt, wovon man nicht im Traum gedacht hätte, dass es sich je mitreißen ließe.

Das Ausmaß der Zerstörung, die halben Häuser, die unbrauchbaren Brücken, die kreuz und quer herumliegenden Fahrzeuge, die Löcher in den Fahrbahnen, all das erinnert mich an alte Kriegsaufnahmen, erst recht, wenn jetzt auch noch Pionierpanzer Schutt zur Seite schieben, wenn alte Menschen von tarngrünen Helikoptern vom Altenheim zur Ladefläche von Militärunimogs geflogen werden, um sie von der Front in Sicherheit zu karren. Es sieht wirklich aus, wie nach einer verheerenden Schlacht, die vor allem auf Kosten der Zivilisation geführt wurde.

Krieg.

Was wäre, wenn – also, nur mal angenommen – wenn dieselbe Zerstörung das Resultat eines ebenso unverhofften Militärschlages irgendeines gewissenlosen Landes gewesen wäre? Nehmen wir an, die Zerstörung wäre genauso groß, es hätte ebenso viele Verletzte wie Tote gegeben. Nur, dass die Häuser von Bomben getroffen und die Dämme von Raketen zerstört wurden. Was wäre dann?

Ich denke, ich kann mir gut vorstellen, was dann passiert wäre. Nach dem ersten Schock hätte vermutlich das große Säbelrasseln begonnen. „So etwas darf nicht sein, das lassen wir uns nicht bieten!“ Gemeinsam mit militärischen Verbündeten würde man sich beraten, was zu tun sei. Das Wort „Vergeltung“ würde vermutlich unter Verwendung sanfterer Synonyme vermieden werden. Schnell wäre die marode Bundeswehr mit neuestem Gerät aufpoliert. Es würde sehr viel Geld locker gemacht werden, vermutlich deutlich mehr als in der Coronakrise, die paar Kröten an die Lufthansa erschienen dagegen als mickriger Witz. Das würde ja auch viele Arbeitsplätze schaffen, die Wirtschaft nach so viel Krise ankurbeln, und das täte dem Wohlstand und damit uns allen gut. Im Bundestag wäre es vermutlich so einfach wie selten zuvor, Mehrheiten für riesige Beträge zu bekommen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn sich viele Menschen freiwillig mustern und rekrutieren lassen würden. Es war nämlich schon immer leichter, Menschen zum Kampf gegen einen gemeinen, tödlichen, und konkreten Feind zu mobilisieren.

Stattdessen haben wir es aber nur mit der Klimakrise zu tun. China oder Nordkorea, das ist ja schon abstrakt genug, weil so ganz anders und so furchtbar weit weg, aber immerhin kann man andere Länder konkret auf der Landkarte eingrenzen und damit einigermaßen fassbar machen. Doch die „Klimakrise“?! Dieses abstrakte Etwas? Eine Theorie? Ich fürchte nämlich, mehr als 99% aller Menschen haben keine Ahnung, was für ein hochexplosives und völlig unberechenbares Gift sie in den Mund nehmen, wenn sie dieses Wort aussprechen. Dieser Feind ist weniger fassbar als eine 1000 Seiten lange mathematische Formel.

Entsprechend nimmt den Feind auch niemand ernst. Gewiss, die EU hat gerade erst ein paar Maßnahmen für 2035 beschlossen. Einen grünen „Deal“ haben sie mit dem Planeten gemacht. Doch anstelle von Freiwilligkeit, Rekrutierung und Aufbruchstimmung fühlt es sich eher an wie ein leicht genervter Widerwille. Statt nämlich auf all die neuen Arbeitsplätze, Möglichkeiten oder den zu erwartenden wirtschaftlichen Aufschwung mit seinen völlig neuen Branchen, Berufen und Wirtschaftszweigen hinzuweisen, die die Aufrüstung gegen den Klimawandel zwangsläufig zum Blühen bringen wird, klagt man lieber über den Verlust von Arbeitsplätzen im Kohleabbau, in der Verbrennungsmotorkolben- oder der Einspritzpumpenindustrie. „Ach Herrje! Jetzt muss selbst Thyssen-Krupp (die übrigens alleine für über 2,5% des gesamtdeutschen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist und vermutlich herzlich gerne und viel, viel lieber Rüstungsaufträge entgegengenommen hätte) auch noch von Kohle auf grünen Wasserstoff umstellen – herrje, herrje, herrjemine, wie soll das alles nur gehen?“ stöhnt der Jammerchor, während draußen vor der Tür gerade Thyssen-Krupps Pionierpanzer Schutt zur Seite schieben und Autowracks weghieven. Diese Ironie kommt mir ziemlich makaber vor. Oder vielleicht auch nur ziemlich dumm?

Oder liegt es daran, dass uns ganz tief eigentlich bewusst ist, dass der Klimawandel selbst ebensowenig unser Feind ist, wie eine Kriegsrakete ein persönlicher Feind sein kann? Sie kann zwar vom Feind konstruiert, besessen und abgefeuert werden, doch der Bombe selbst ist es völlig egal, wer sie nun abfeuert und wohin, sie folgt einfach nur Naturgesetzen. Genau wie der Klimawandel. Der folgt auch nur den Gesetzen der Physik, und er konstruiert sich auch nicht selbst. Deshalb wäre jener, der den Klimawandel herstellt, ab- und befeuert mein eigentlicher Feind: das wäre wohl der alte Adam höchstpersönlich. Und vielleicht spüren wir ganz tief in unserer Seele ja doch, dass wir – Hand auf’s Herz! – eigentlich für den Kampf gegen uns selbst aufzurüsten hätten, dass wir unserer Gier, Maßlosigkeit und Völlerei, unserem Konsum, unserer Verantwortungslosigkeit und vor allem unserer gottverdammten Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit den Krieg erklären müssen. Hier wäre die wahre Front, um die Schlacht gegen den Klimawandel als unsere eigene Waffe gewinnen zu können. Aber weil das Kämpfen gegen so einen übermächtigen Gegner wie den inneren Schweinehund (fast schon militärische) Disziplin erfordert, Vision, Engagement, List, Mut, Aktion, Entsagungen, Training, Ausdauer, Resilienz, Koordination und Unterordnung, und weil nur wenige westliche Weicheier ausreichend hardcore für harte Unannehmlichkeiten sind, wählen wir also auch weiterhin unterbewusst und automatisch die matratzenweichen Alternativen. Mainstream statt enge Pforte. Auch wir Christen wollen schließlich endlich mal cool sein und nicht schon wieder als Spielverderber dastehen.

Wahrscheinlich werden kommende Generationen sprachlos über uns den Kopf schütteln und sich fragen, wie wir es eigentlich hinkriegen konnten, sehenden Auges zuzulassen, dass Naturkräfte und Katastrophen uns 80% unseres Wohlstandes schmerzlich und scheibchenweise wegreißen, im Meer versenken oder in Dürren verwüsten, wo all das so einfach hätte vermieden werden können! Mit einem freiwilligem Verzicht auf nur 30% unseres Wohlstandes hätte die globale Menschheit nämlich sehr viel länger, sehr viel nachhaltiger, sehr viel kontrollierter und vor allem mit sehr viel weniger Leid, Verletzten und Toten leben können.

Die Chancen sind leider verschwindend gering, dass Archäologen folgender Generationen ausgerechnet diesen Blogpost irgendwo ausgraben werden, aber ich wünschte mir trotzdem, meine Ururenkel wüssten, dass gewisse Leute sich solche Fragen auch heute schon gestellt haben. Ich aber kann nur tun, was ich tun kann, und würde mir wünschen, dass mein Schöpfer meine Treue anerkennt. Für heute habe ich jedenfalls meinen Kopf genug geschüttelt. Meines eigenen psychischen Wohlergehens zuliebe schalte ich deshalb meinen Computer nun wieder aus, fülle mein Saftglas nach, setzte mich zurück in den Schatten und sehe in meinem Urlaub lieber weiter den Bienen zu.

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