Es ist die Zeit der julbord, der schwedischen Version der Weihnachtsfeier. Einst war das einmal ein gemütlicher Nachmittag oder Abend mit netten Kollegen und einem reich gedeckten Buffet der typischen Weihnachtsgerichte des Landes, bei dem man entspannt über Dinge redete, für die sonst kaum Zeit bleibt. Dieses Jahr aber scheint die komplette schwedische Freikirche nur ein Thema zu haben, eines, das offenbar alle und jeden so bewegt, dass man selbst auf einem julbord nicht mehr sicher ist: Homosexualität. Bis zur schreibenden Stunde konnte ich durch geschicktes Verhalten erfolgreich vermeiden, selbst gefragt zu werden: „Und?! Wie stehst DU zu dem Thema?!“ Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Schutzwall bricht. Deshalb probe ich hier schonmal meine mögliche Antwort.
Als erstes würde ich eine einfache Gegenfrage stellen: „Willst du das wirklich wissen?“ Bekäme ich ein Nein, wäre ich glücklich. Falls nicht, würde ich sicherheitshalber weiterfragen: „Bist du ganz sicher?“ Darauf wäre wohl ein Ja zu befürchten, und ich müsste wissen: „Wieviel Zeit gibst du mir?“ Denn das Thema ist nicht so simpel, wie manche glauben.
Erstens, würde ich wohl sagen, sind wir zu spät dran mit der ganzen Diskussion. Mindestens zehn Jahre. Vielleicht aber 100 Jahre. Höchstwahrscheinlich aber mehr als 1000 Jahre. Mir kommt es merkwürdig, bisweilen amüsant vor, wie alle zu glauben scheinen, dass man ein Thema plötzlich „lösen“ kann, dass für weit über 1000 Jahre schambehaftet und tabu war. Diese Erkenntnis könnte etwas mehr Geduld und heilbringende Demut in die erhitzen Gemüter salben.
Zweitens würde ich zu Bedenken geben, dass wir gerade nicht etwa versuchen, Versäumtes aufzuholen, nein, wir doktern gegenwärtig nur an einer einzigen Stelle herum, die gerade etwas unangenehm ist. Eigentlich wollen wir das Problem gar nicht lösen, sondern nur schnell wieder loswerden. Wir reden nur über Homosexualität oder HBTQ bzw. LGBT. Das ist die wunde Stelle gerade. Wollten wir wirklich Versäumtes aufholen, müssten wir theologisch Sexualität als Ganzes aufarbeiten. Nein, das haben wir noch nie getan, wir haben bestenfalls ein paar fromme Phrasen zum Thema, mehr nicht. Ist Gott ein sexuelles Wesen? Hatte Jesus Hoden? Und damit Testosteron im vergossenen Blut? Solche Fragen sind immer noch ziemlich tabu. Die ganze Diskussion wurzelt in einem Vakuum, was sie irgendwie komisch und weltfremd anmuten lässt. Wir verwechseln Sexualität immer noch mit Sex und vergessen, dass Sexualität vor allem Identität ist. Sexualität heißt weniger mit Genitalien spielen. Es ist der Kern der Seele. Sexualität und Spiritualität sind zwei Seiten derselben Münze. Meiner Meinung nach brauchen wir vor allem mehr echte Theologen und weniger Moralapostel.
Was mich zum dritten Punkt führt: Die Diskussion fußt auf einem Gottesbild und einem Kirchenbild, die beide zweifelhaft sind. Gott als gesetzlicher Richter, der vor allem sexuelle Vergehen besonders ernst nimmt. Und eine Kirche, die das Recht zu haben meint, einer Gesellschaft ihre Moral aufdrängen zu müssen. Beides ist eher mittelalterlich, weniger biblisch geprägt. Im Mittelalter diskutierten Päpste und Kardinäle ebenfalls gerne Themen, die ihnen interessant vorkamen, man stritt und konferierte über Dinge, die nicht immer besonders relevant für den Alltag der allgemeinen Bevölkerung waren. Und wie mein vierter und letzter Punkt zeigt, verhalten wir uns gerade wieder einmal ziemlich mittelalterlich.
Eine ganze Generation versinkt gerade in Sinnlosigkeit. Wir kriegen die Klimakrise nicht in den Griff. Millionen, wenn nicht Milliarden Leben stehen auf dem Spiel. Wir rüsten wieder wie die Weltmeister und die nächsten Kriege künden schon ihre Ankunft an. Und Gemeinde legt ihre Kraft gerade auf die Diskussion von Homosexualtät. Nicht, dass man darüber nicht reden sollte. Doch die Verhältnismäßigkeit fehlt. Mir scheint, es gelingt wieder einmal, Gemeinde erfolgreich von ihrer Hauptberufung abzulenken.
Das macht mich traurig, ehrlich gesagt. Mehr als das habe ich im Moment zu dieser Diskussion nicht beizutragen. Ich möchte meine Prioritäten beibehalten.