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Die Willow-Evolution

Wir staunten nicht schlecht, als wir auf unserer Reise zur diesjährigen CA-Konferenz „Connect“ plötzlich in der Warteschlange hinter einer Gruppe Männer aus unserer Partnergemeinde standen. „Ja, wo wollt IHR denn hin?!“ brach es auf beiden Seiten heraus. Klar, wir wollten zu Connect. Und unsere Freunde waren auf dem Weg zum diesjährigen Willow Creek Leadership Summit in Chicago. Die Aufzeichnung dieser internationalen Leiterkonferenz wird irgendwann im Januar in einigen wenigen, großen Gemeinden Schwedens zu sehen sein, und für den Großraum Göteborg wird dieses Großereignis in unserer Partnergemeinde Saron stattfinden.

„Willow Creek, stimmt ja auch…“ dachte ich nachdenklich bei mir selbst. Und in meinem Kopf tauchten plötzlich Bilder von perfekt ausgeleuchteten Bühnen mit blauem Hintergrund auf, von Riesenversammlungen, von konzertreifer Musik, von ergreifenden Theaterstücken die längst aus der Phase „Anspiel“ herausgewachsen waren, von Predigten und Ansprachen, die unter die Haut gingen, und von dem ernüchternden Gefühl auf dem Heimweg: „Warum ist meine Gemeinde eigentlich nicht auch so?“

Plötzlich fiel mir wieder ein, wie mir meine frisch anvertraute Frau Karen vor 19 Jahren in unserer winzigen Wohnung mitten in Murnau an einem Samstagmorgen nach dem Frühstück einen Bericht aus der „Dran“ vorlas (gab’s die damals schon? Oder war’s noch der „Punkt“?). Von einem charismatischen Jugendpastor war da die Rede, der bereit war, auch mal andere Wege zu gehen. Irgendwie hat er mich immer fasziniert, dieser Bill Hüübels, wie ich ihn mangels ausgereifter Englischkenntnisse damals nannte. Er schien es rauszuhaben, wie man die Leute abholt.

Ich erinnerte mich an die viele Skepsis, die dem Hüübels-Hüüpe, pardon, Hype damals so entgegengebracht wurde. Ob Willow Creek überhaupt biblisch oder vielleicht sogar sündig sei. Und an die Hybelsnachfolger auf der anderen Seite, die nichts auf ihren Bill kommen ließen. Komisch, wie viele Details plötzlich erwachen können, wenn man so ins Nachdenken gerät. Und natürlich erinnerte ich mich an den großen Willow Creek Leiterschaftskongress, an dem Karen und ich selbst teilnehmen konnten. Oberhausen, Reihe 8, fast direkt vor der lebenden Ikone sitzend.

Und ich muss sagen, ich habe wirklich viel von ihm gelernt. Vor allem inspiriert mich immer noch seine Passion, Menschen mit Jesus zusammenzuführen. Seine Art, auf Menschen einzugehen und sie ernstzunehmen. Ihnen nichts überzustülpen. Seine Bereitschaft, Jesus bedingungslos gehorsam zu sein und sicherzustellen, dass ihm nichts entgeht, was der Meister ihm mitteilen möchte. Ich wünschte mir selbst mehr von diesen Eigenschaften. Und eigentlich habe ich nie verstanden, warum die allermeisten europäischen Willowjünger eigentlich nur versucht haben, seine Gemeinde zu kopieren. In der Annahme, dass ein blaues Bühnenbild und super Musik die Massen schon zur Kirche strömen lassen wird.

Und dann fiel mir auch wieder dieser erstaunlich ausführliche Bericht einer „weltlichen“ Tageszeitung über die Willow Creek Gottesdienste ein. Vielleicht war es sogar „Die Welt“, die ihn schrieb. Doch an den Namen der Zeitung erinnere ich mich genausowenig wie an all die andere Kritik, die sie an Willow Creek auszusetzen hatte. Ich war nämlich empört. Wie konnte man eine so perfekte Gemeinde so negativ darstellen?

Schade, dass ich diesen Artikel nicht aufgehoben habe. Heute würde ich ihn mit allergrößtem Interesse lesen. Nicht, weil ich wissen will, was man an Willow Creek so alles aussetzen könne, nein, ich habe nach wie vor Achtung vor diesem Teil des Leibes Christi namens Willow Creek Community Church, der ebensosehr aus geheiligten Sündern besteht wie jede andere Gemeinde auch. Nein, ich hätte gerne gewusst, welche Details dem „weltlichen“ Beobachter damals alle so aufgefallen sind, die Dinge, an denen er sich gestoßen hat. Ich vermute nämlich, es ging ihm darum, dass hier nichts als eine pompöse Show abgezogen wurde aus dem zweifelhaften Motiv, großzügige Spenden abzusahnen.

Kirche ist Theater, nichts als Theater, so empfinden viele das nämlich, und man kann es ihnen wirklich nicht immer übel nehmen. Die europäische Kirchenshow, so möchten viele die Kirchengeschichte auch bezeichnen wollen, war mal grausam, mal langweilig, mal wohl inszeniert. Aber meistens war die Kirche dominant und mächtig im Schauspiel, selten bis gar nicht spielte sie die schwache und leidende Rolle, von einigen vermeintlichen Sektierern mal absehen, aber das führte ja schließlich zu spannenden Selbstzerfleischungsszenen. Mein Synonymwörterbuch gibt unter „Show“ übrigens auch „Messe“ an. Und „hokus pokus“ leitet sich von „corpus christi“ ab. Was für ein Zufall.

Wenn Glaube wirklich nur ein Happening ist, eine Nummer, dann ist er es nicht wert geglaubt zu werden. Weg damit.

Was aber, wenn echt ist, was Christen glauben? Dann sollte Glaube auch echt gelebt werden. Genau danach sehnen sich nämlich die Millionen des virtuellen Zeitalters. Man will keine Cartoonpastoren, die ihre Schäfchen animieren. Man braucht keine Dreamworks-Gemeinde. Man will keine gephotoshopten Gemeindemitglieder, denen geschickt jede Schwäche wegretuschiert wurde. Keine Bühnenchristen, wo man sich fragen muss, ob alles nur nach Drehbuch gespielt wird, und auch keine Friede-Freude-Eiermontagen. Man will Nächstenliebe aus Fleisch und Blut. Freude, die ansteckt. Hoffnung, die Mut macht. Christen, die leben. Und deren Glaube inspiriert, Flügel verleiht. Der andere größer werden lässt statt kleiner.

In diesem Sinne ist mir mein guter, alter Hüübels – trotz Showgottesdienste – ein Vorbild. Er war mitten drin in der Schnittstelle vom Gestern zum Morgen, irgendwo da drüben in Chicago – und wahrscheinlich ist er es immer noch. Er hat gesagt: Kümmert Euch um Eure Nachbarschaft. Nehmt die Leute ernst. Liebt sie. Er hat Gemeinden herausgefordert, sich weiterzuentwickeln, nicht stehenzubleiben, über den eigenen Schatten zu springen.

Ich war nie in Chicago. Vielleicht funktioniert die Bühnengemeinde dort noch hundert Jahre nach diesem Konzept. Gott segne sie. Ich bin Europäer und beobachte ein paar der europäischen Kulturen. Und ich sage, hier ist die Zeit überrreif für den nächsten Schritt. Und die postwillow-Stufe dieser Evolution ist meiner Meinung nach, dass die Megalautsprecher wieder deutlich kleiner werden müssen, dass die Bühnen wieder allein den Schaustellern überlassen werden und der Glaube stattdessen dort anzutreffen ist, wo er hingehört: In den Häusern bei den Familien, in den Straßen bei den Zöllnern und Sündern, bei den Nachbarn, die wir lieben sollen wie uns selbst, in Krankenhäusern und Gefängnissen, in Büros und Fabrikhallen, bei den Gemobbten, Unterpriviligierten, Ausgegrenzten. An Schulen, wo Teenager nicht wissen, wie sie heute schon als Manager leben sollen. Dreht der großen Bühnenbeleuchtung den Saft ab. Lasst uns alle Showenergien stattdessen wieder in die Alltagsnachfolge stecken. Jesus hatte kein Funkmikro am Gewandt. Er hatte was anderes. Wo Christen auch im Alltag wieder Jesusnachfolger werden, da haben sie auch was anderes. Und da kann viel passieren. Im Kleinen wie im Großen.

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