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Dieser irreale Augenblick…

… wo du nicht weißt, ob das jetzt echt ist, ob du verwirrt bist oder nicht.

Ich war auf der Heimreise vom internationalen M4-Treffen für Gemeindegründer, zu dem ich die Ehre hatte, nach Tallinn eingeladen worden zu sein und dort u.a. Dietrich Schindler zu treffen. Am Stockholmer Flughafen Arlanda begann jedoch das Chaos, weil ein Unfall auf der Zugstrecke passiert war und nun alle Reisenden mit Bus und Taxi in die Stadt mussten. Ein chaotischer Ameisenhaufen aus ewig langen Menschenschlangen, fluchend, verzweifelt, geduldig, alle darauf wartend, endlich mitgenommen zu werden. In allerletzer Minute erreichte ich schließlich den allerletzten Zug nach Göteborg, sonst hätte ich wohl eine Nacht als Obdachloser auf dem Bahnhof verbringen müssen. Erschöpft legte ich mein Gepäck erstmal ins Gepäcknetz, ließ ich mich auf meinen Gangplatz fallen und dachte: „Wenn ich gleich meinen Sitznachbar wieder reinlassen muss, stelle ich meinen Rucksack zwischen die Beine, hol das Buch raus und lese, bis ich einschlafe.

Nur zwei Minuten später musste ich also wieder aufstehen, um den Sitznachbar reinzulassen; ich griff nach dem Rucksack – und er ist weg. Ja, spinn ich jetzt…?!

Recherchen ergeben, dass mit größter Wahrscheinlichkeit ein sehr kundiger Mensch schon irgendwo im Bahnhof oder davor gesehen haben muss, dass es sich hier nicht um irgendeinen beliebigen schwarzen Rucksack, sondern einen Fotorucksack handelt (ironischerweise ein „diebstahlsicherer“, weil er sich nur auf der Rückenseite öffnen lässt), er muss mir bis in den Zug gefolgt sein, den Rucksack von hinten entwendet und sofort das Weite gesucht haben, noch bevor der Zug abfuhr. Es gibt normalerweise auf Reisen für mich kaum Augenblicke ohne Körperkontakt zwischen mir und dem Rucksack – die einzigen zwei Minuten, wo ich es vor Erschöpfung dann doch vergaß, wurden sofort zum Verhängnis, weil mir ein Verfolger an den Fersen hing.

Schaffner, Wachpersonal, Polizei, Zugdurchsuchungen und andere Fahrgäste können nicht helfen, weg ist weg. Neben meiner kompletten Fotoausrüstung ist auch mein Pass und mein Laptop mit allen Dateien verschwunden. Über Jahre zusammengesammelte, geschenkte und gespendete Ausrüstung im Wert von vielen Tausend Euro. Ich bin zwar traurig aber zum Glück recht ruhig darüber, doch weg ist trotzdem weg. Nun hatten wir endlich Anmeldungen zum Filmprojekt – und können es jetzt doch nicht durchführen mangels Ausrüstung. Das M4-Material, welches auf deren Trainingswebseite verfügbar gemacht werden sollte, ist futsch. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.

Ein Trost, der alles in gesunde Relationen setzt: Die letzten von mir gemachten Fotos waren vom Denkmal „The Broken Line“ im Hafen Tallinns, gleich neben dem Hotel. Von dort stach am kommenden Sonntag vor 20 Jahren die Estonia in See in Richtung Stockholm. Mein letztes Foto (ist natürlich auch weg, aber ihr könnt andere googeln) zeigte einen Gedenkklotz mit allen 852 Namen, die nie in Stockholm ankamen. Deren Reise von Tallin nach Schweden endete mit einem großen Verlust. Mein Verlust ist im Vergleich dazu lächerlich.

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