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Die Entdeckung der Langsamkeit

Meine Frau spielt schon lange keine Strategiespiele mehr mit mir. Anfangs fand sie es immer lustig, weil sie jedes Spiel gewann. Vor allem neue Spiele. Doch nach ein paar Spielen, Tagen oder Wochen, wenn ich es dann endlich auch begriffen hatte und beginne, eigene Taktiken zu entwickeln, wird der Spieß umgedreht. Nach einigen Ehejahren entdeckte sie dieses Muster und fand es fortan langweilig, gegen mich immer nur noch zu verlieren.

So geht es mir oft. Mittlerweile weiß ich es: Wenn mir neue Leute ein neues Spiel beibringen wollen, fühle ich mich grundsätzlich wie ein dummer Schuljunge, der gar nichts rafft, während alle anderen sofort kapieren, was abgeht. Aus diesem Grunde habe ich wohl auch nie Skat gelernt, trotz vieler Versuche, es mir beizubringen. Das Gefühl, dumm zu sein und andere mit meiner Dummheit zu nerven, war wahrscheinlich immer die größte Erfolgsbremse. Die Abseitsregel habe ich auch erst bei der WM 2010 in Südafrika gerafft. Nicht, weil sie mir da jemand erklären konnte, nein. Als sonst extrem gemäßigter Fußballinteressierter habe ich aber erstmals sämtliche WM-Spiele nacheinander angesehen hatte endlich die Gelegenheit, jene ominöse Abseitsregel selbst zu entdecken und verstehen.

Ich muss zugeben: So funktioniere ich. Langsam. Ich komme schwer aus dem Bett und bin immer der letzte, der mit dem Essen fertig ist. Obwohl Langsamkeit durchaus ihre Vorteile hat, wird sie grundsätzlich als Manko angesehen. Alles muss schnell gehen, erledigt werden, fertig sein. Heute muss alles noch schneller als schnell gehen. Am schnellsten gibt es gar nicht mehr, denn eigentlich sollte immer noch ein bisschen schneller drin sein. Manche zweifeln sogar an, ob die Lichtgeschwindigkeit wirklich das Ende der Fahnenstange ist.

In meinen Studien zum Thema Dummheit entdecke ich hingegen, dass Langsamkeit alles andere als dumm ist. Langsamkeit ist sogar sehr viel weiser als Schnelligkeit. Weisheit lädt man nicht während ein paar Millisekunden herunter. Sie wächst über Jahrzehnte. So man sie denn pflegt und nährt, sonst wächst sie gar nicht. Unsere „Hier-und-jetzt-aber-sofort-Gesellschaft“ zeichnet sich sogar in vielen Fällen durch ausgesprochene Dummheit aus. Wir treffen kurzfristige Entscheidungen ohne an die Zeit danach zu denken. Börsenhändler denken nur ans Heute. Manager an die nächsten Monate. Politiker an ihre Legislaturperiode. Pastoren an die Zeit ihrer Anstellung in dieser Gemeinde. Wer denkt an die nächste Generation? Die übernächste? Und trifft heute entsprechende Entscheidungen? Richtet eventuell sein ganzes Leben danach aus? Wer weiß schon, dass man heute keine Fichten mehr aufforsten sollte, Deutschlands Nadelbaum Nummer eins, weil sie die Erderwärmung nicht vertragen werden und unsere Urenkel nur noch an Plastiktischen sitzen werden?

Das Problem ist, dass wir von Kindesbeinen an gelehrt werden, schnell sein zu müssen. Wer nicht mithalten kann, hinkt hinterher. Schon unsere Sprache ist voller Idiome, die Schnelligkeit als wichtig betonen. Doch damit werden wir zu kulturellen Kaltblütern, unfähig, langfristige Trends wahrzunehmen wie der berühmte Frosch im Kochtopf. Wer also lehrt uns Langsamkeit? Wer erklärt uns, wie man weise wird? Wer bringt uns bei, in großen Zeitrahmen zu denken und das Heute entsprechend zu gestalten?

Ihr ahnt es schon: Die Gemeinde wäre der ideale Platz. Wir dienen dem Gott der Ewigkeiten. Mit unglaublicher Geduld lässt Er nicht nach, uns Geduld zu lehren. Er gibt uns kapitelweise Lektionen zum Thema Weisheit. Er beschreibt uns als Bäume, die am Wasser gepflanzt sind und Früchte tragen. Kein Baum, keine Frucht lässt sich mit LTE-Geschwindigkeit downloaden. Sie wachsen langsam. Und wenn Spanien Scheißwetter hat, bleiben bei uns die Gemüseregale leer. Schnell hin oder her. Die Gemeinde hat wohl den unglaublichen Auftrag, der Welt die Freuden und die Ruhe der Langsamkeit beizubringen.

Wie gut, dass es in unseren Gemeinden kaum Stress gibt, dass sie Orte des puren Aufatmens und Durchschnaufen sind, dass wir unseren Gemeindezielen in einem Milieu der Gemächlichkeit nachstreben, dass wir uns Zeit zum Feiern und zur echten Lebensfreude nehmen, dass wir Geduld miteinander haben wie Gott sie mit uns hat, dass unsere Gemeinden ein so angehmer Kontrast zum hastigen Businessmanagement sind, dass wir Menschen und Gemeinschaft wichtiger nehmen als Aufgaben und Programme.

Die Gemeinde ist wahrlich etwas vom Himmel auf Erden. Ein Stückchen Ewigkeit. Oder?!

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