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Die Lehre der Leere (23): Der Hammerschlag

„Natürlich kann ich das!!!“ Ich war zutiefst empört. Mit meinen 16 Jahren war ich es zwar gewöhnt, der doppellinkshändige Außenseiter in einer handwerklichen Familie zu sein, die ständig neue Renovierungsprojekte erfand, an denen ich selten mithelfen durfte. Doch dieses Mal, diese eine Mal wollte ich es allen zeigen! Die nagelneue, fast fertige, große Überdachung war mit großen Plexiglasscheiben versehen, und zwischen diese musste vorsichtig eine Dichtleiste mit einem Gummihammer eingeklopft werden. Man wollte es mir ausreden, versuchte, zu erklären, wie schwierig das sei und vor allem wie TEUER diese großen Scheiben waren. Doch hämmern war einfach! Ich hatte gerade erst im ersten Schlosserlehrjahr die Aufgabe gemeistert, einen gewöhnlichen Flachstahl allein durch gezielte Hammerschläge zu einer 8 zu formen!

Alle sahen sich zweifend an, und dann reichte mir jemand wortlos den Gummihammer. Wie stolz ich war! Endlich war ich einer von ihnen! Sie trauten mir etwas Handwerkliches zu! Ich kletterte auf die neue Überdachung und begann glücklich meine Arbeit. 50 Zentimeter lang war ich der stolzeste Nachwuchshandwerker, den die Welt je gesehen hat.

Ich weiß nicht mehr, was lauter geknallt hat, die Scheibe oder meine Seele. Beide waren unter einem einzigen Hammerschlag zerborsten. Die Stille nach dem Knall blieb ungebrochen. Niemand sagte einen Ton. Jedes Wort wäre überflüssig gewesen. Ich wusste es auch so. Wortlos stieg ich von der Überdachung. Sie hatten alle Recht gehabt. Ich kann’s nicht, ich bring’s nicht, ich bin einfach noch zu klein und zu dumm, zu unerfahren zu allem. Ich hatte es schließlich oft genug gehört und gesehen. Und nun glaubte ich es auch. Alle anderen sind begabter, fleißiger, tüchtiger, geschickter, einfach besser als ich.

An jenem Tag verschanzte sich jene Lüge ganz tief in den Sprüngen meiner Seele und sollte fortan mein Leben prägen.

Werkzeug nahm ich seither nur äußerst ungern in die Hand. Wer wusste schon, was ich damit wieder alles anstellen würde. Meine Schlosserausbildung wurde zum Spießrutenlauf. Niemand durfte entdecken, wer ich wirklich war.

Als ich nach dem Tod meines Vaters einen Teil seines Werkzeuges erbte, erhielt es zwar einen Ehrenplatz in meinem Kellerschrank, aber dort blieb es unberührt und unbenutzt stehen.

Und nun gab Gott mir den Auftrag, Werkzeug in die Hand zu nehmen. Doch bei meiner derzeit stark gedämpften Gefühlslage kamen auch keine Stress-, Angst- oder Unruhegefühle auf. Ich tat es einfach. Nun stand ich dort, schlug mit Hammer und Meißel alte Kacheln weg, jeder Schlag war ein perfekter Treffer, legte Fußboden, passte Leisten an, änderte Wasserleitungen und Abflussrohre, lernte noch mit 50 das Tapezieren. Und alles gelang! Es machte sogar Spaß! Und wenn mir nun mit dem Werkzeug meines Vaters eine ganz besonders gute Bohrung oder ein besonders guter Schnitt mit der Säge gelungen war, schien mir jemand zu sagen:

Ich weiß doch, wer du bist. Ich weiß, wo du herkommst. Ich weiß, was du brauchst. Genieße, was du gerade tust. Freue dich so gut du kannst. Der Genuss wird dich heilen. 

Ich begann, etwas zu spüren: Zufriedenheit. Wer kann zerbrechen, was Gott heilt?!

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