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„Eine lange, lange Reise…“

Stationen einen Lebens. Manchmal muss man zu gewissen Orten wiederkommen, um sein Leben, seine Vergangenheit verstehen zu lernen. Oder sie einfach nur jemand anderes zu zeigen, der sich nun für mein Leben interessiert, und den es damals noch nicht gab. Dieses Interesse für einen anderen Menschen, den ich vor nicht allzulanger Zeit noch gar nicht kannte, brachte mich jüngst in die Hauptstadt Dänemarks. Nicht als Tourist, sondern auf der Suche nach Lebensstationen. Und eine davon war in Christiania.

Dieser Stadtteil ist weltberühmt. Überbleibsel einer Hippibewegung, welche in den Siebzigern eine verlassene Militärbasis besetzte. Heute nennt es sich „Freistadt“, mit eigenen Gesetzen, einer eigenen Community. Vor allem bekannt dafür, dass hier Gras & Co frei auf der Straße verkauft und konsumiert werden. Eben deshalb kommen viele her. Ehrlich gesagt bin ich froh darüber, nicht als Tourist hier zu sein, sondern von einem Insider herumgeführt zu werden.

Wir haben u.a. ein ungewöhnliches Ziel in der Freistadt: Die einzige Gemeinde dieser Kommune, ein kleiner, aber treuer und höchst intressanter Haufen, welcher direkt neben einschlägigen Verkaufsständen Reich Gottes baut. Man trifft sich im ehemaligen Pferdestall des Militärs, doch das sei ja biblisch, die ganze Geschichte mit Jesus habe schließlich in einem Stall begonnen, meint Pastor John und freut sich verschmitzt. Wir stehen also mitten im gepflasterten „Stall“; wahrscheinlich die interessanteste Kirche, die ich je gesehen habe. Eine Mischung aus Küche, Wohnzimmer, Stall, Kirche, Werkstatt, Abstellkammer. Aber warm und gemütlich. Ich kenne Pastor John, weil er vor Jahren einer meiner Studenten im Fach Gemeindegrüdung war. Und er kann Geschichten über Geschichten erzählen. Leider ist mein Dänisch nicht besonders entwickelt, deshalb reden wir meist Englisch. Er lebt mit seiner Familie im Dachgeschoss des Stalls, zu einer urgemütlichen Wohnung ausgebaut. Hier essen wir zu Mittag und hören noch mehr Geschichten.

Die Gemeinde versucht ein Segen in diesem Stadtteil zu sein, der von so unendlich vielen suchenden Seelen geprägt ist. Mein Freund, mit dem ich hier bin, hat ebenfalls in dieser Gemeinde „seine Religion wiederentdeckt“, wie er es sagt. Die Gemeinde ist kreativ wenn es darum geht, mit Leuten in Kontakt zu kommen, ist ein Vermittler zwischen besorgten Familienangehörigen und verlorenen Söhnen oder Töchtern. Doch dann sagt John etwas, was ich selbst nur allzugut kenne: Vom ersten Kontakt bis dahin, dass jemand Jesus aufnimmt bis dahin, dass jemand so weit gekommen ist, dass man selbst leiten kann ist eine unendlich lange, lange Reise. Unendlich viele Stationen, Rückschläge, Verluste. Diese faszinierende Gemeinde ist eine kleine Schar und wird es wohl auch noch etwas bleiben.

Nun, einige Tage später, wo ich diese Zeilen schreibe, sehe ich immer noch klar und deutlich all die vielen Gesichter vor mir, die sich dort einen oder mehrere Joints erlauben. Die Joints sind das kleinere Problem. Das größere Problem ist, dass nur wenige wissen, wonach sie eigentlich suchen. Ob man die Suche nun mit Gras, Arbeit oder Vergnügen füllt, ist völlig nebensächlich. Hilfestellung beim Finden der Wahrheit ist nur sehr begrenzt möglich. Ich wünschte mir oft, Jesus würde mal ein bisschen lauter auf die Pauke hauen und auf sich aufmerksam machen. So wie er es damals getan hat. Aber er tut es nicht, jedenfalls nicht hier und jetzt und das ist seine legitime Entscheidung, die ich natürlich respektiere, wenn auch wiederwillig. Was er aber macht, sind deutliche Wegweiser aufstellen. Wegweiser, die immer wieder die richtige Richtung auf dieser langen, langen Reise angeben. John zum Beispiel ist so ein Wegzeichen. Und ob die Leute folgen, ist und bleibt letztlich deren eigene, freie Entscheidung. Herr, hilf doch, dass mehr Stationen in mehr Leben näher zu DIR führen.

Es war mir eine Ehre und Inspiration, meinen Freund und Kollegen John wiedersehen zu dürfen.

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