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Ich liebe den Herrn

Ich liebe meinen Herrn. Ich liebe ihn wirklich. Er hat mein Leben auf eine Weise geführt und gestaltet, wie ich es zu Beginn meiner Reise mit ihm nicht zu träumen gewagt hätte. Deshalb stört es mich dieses Jahr auch mehr als sonst, wenn „Joy to the world, the Lord has come“ aus allen Kaufhauslautsprechern tönt. Wenn er vermarktet wird und Kassen klingeln lassen soll. Wenn das Unbegreifliche der Menschwerdung vor den Konsumkarren gespannt wird. Vielleicht will deshalb dieses Jahr auch keine typische Weihnachtsstimmung in mir aufkommen. Weil mir so viel an Weihnachten verdreht vorkommt in einer Welt, die Jesus aggressiv verleugnet außer zur Weihnachtszeit, wo er gut genug ist zur Steigerung des Umsatzes. Und nur dazu. Gefühlsduselige Weihnacht zum Doping des Kunden.

Wir Christen sind nicht völlig unschuldig daran. Wir haben die Gefühlsduslei erfunden, wenn auch aus gutem Grund. Doch vieles haben wir unnötig verduselt. Zum Beispiel durch unser romantisches Krippenbild. Ein Blogeintrag irgendwo aus dem Orient erinnerte mich kürzlich daran, dass es in jenen Kulturen undenkbar ist, eine Schwangere abzuweisen. Erst recht, wenn sie zur Familie gehört – und dahin war Josef ja schließlich unterwegs. Gewiss, sie war unehelich schwanger geworden, doch Josef hatte enorme Liebe und Fürsorge bewiesen und seine Verlobte mitgenommen. Es ist undenkbar, dass die Bethlehemer Verwandtschaft vor der eigenen Familie die Tür zuschlägt. Vielmehr hat sie Josefs Liebe und Fürsorge erkannt und das, was sie als Sünde angesehen haben mögen, vergeben. Man lässt keine Schwangere ganz alleine entbinden und ganz sicher kein Familienmitglied. So einfach ist das da. Die Herberge war kein Hotel à la Holiday Inn Bethlehem, die „Herberge“ war das Gästezimmer in der oberen Etage, und da waren leider schon andere Gäste, die man orientalischer Gastfreundschaft folgend nicht rausschmeißen konnte. Deshalb musste Josef mit Anhang im Erdgeschoss wohnen, wo seinerzeit auch „Ochs und Esel“ ihre gute Stube hatten, weil die sich mit dem Treppensteigen naturgemäß schwertun.

Nix mit Stall außerhalb des Ortes, Josefs erfahrenen Schnitt durch die Nabelschnur, nix mit reinen weißen Tüchern in der Krippe ohne Blut und Plazenta. Wäre das so gewesen, hätten die Hirten gefragt „Warum in aller Welt seid ihr hier mutterseelenalleine?!“ und sie mitgenommen, denn während und nach einer Geburt darf man dort einfach nicht alleine sein. Ergo, da müssen erfahrene Frauen gewesen sein, die genau wussten, wie man mit einem Blasensprung umgeht, als der holde Knabe im lockigen Haar rauswollte. Was soll’s, holzgeschnitzte, heiligscheinende Stallchristkinder verkaufen sich halt nach wie vor besser und fühlen sich deshalb richtiger an.

 Die Menschwerdung ist aber immer gleich unbegreiflich, ganz egal, in welche Szene man sie auch setzt. Während ich das schreibe, funkelt ein sternenklarer Himmel über Göteborg. Ich mag den Sternenhimmel. Jedes Mal gibt er mir eine klitzekleine Ahnung von der Größe Gottes. Ich sah heute sogar einige Sternschnuppen. Die sind ungewöhnlich, und sie erinnerten mich an den geheimnisumwobenen Stern zu Bethlehem, der noch viel ungewöhnlicher war. Doch selbst solch ein Stern ist eine alltägliche Lapalie gemessen an der Ungewöhnlichkeit der Menschwerdung des Schöpfers dieses riesigen Universums. Diese Woche durfte ich ein Neugeborenes in den Armen halten. Gleitet mein Blick vom Sternenhimmel zu diesem winzigen, hilflosen Bündel menschlichen Lebens, bleibt mir im Angesicht der Weihnachtsbotschaft die Spucke weg.

Jesus nannten sie ihn. Die ungewöhnlichste Person der ganzen Menschheit. Zweimal geboren. Einmal aus Marias Gebärmutter und einmal aus Josefs (von Arimathäa) Grab. Der nur einige wenige Tage wirklich tot war. Der liebt, lebt, leitet und regiert. Der erneuert und Leben spendet, im Großen wie im alltäglichen Detail. Der die Schwachen aufbaut und die Mächtigen umhaut. Der Lebensfreude gibt, die nur erlebt, aber nicht beschrieben werden kann.

Was soll ich also von Musiksprinkleranlagen halten, aus welchen der Heiland im Dezemberkaufrausch wohldosiert tröpfelt, um die Aufmerksamkeit manipulativ auf jene kurze Lebensfreude abzulenken, die in teuren Geschenken liegt? Es stört mich, ich gebe es zu. Doch dann ertappe ich mich beim schmunzelnden Kopfschütteln. „Wenn ihr wüsstet!“ denke ich da. Und dann kann ich die ein andere Zeile sogar in meinem Herzen mitbeten. Es sind schließlich manchmal richtige musikalische Predigten, welche sich dort über alle Anwesenden ergießen. Joy to the world, the Lord has come. Und ich liebe ihn, unseren Lord. Ich liebe ihn wirklich.

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