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Die Lehre der Leere (17): Die Landung

Theresa von Avila auf einem Gemälde von Rubens. Foto: David Monniaux – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=129907

Die Landung kam unerwartet. Nach wochenlangem Fall durch’s Dunkel kann man nur unerwartet landen. Der Aufprall war weder hart noch sanft, aber deutlich und direkt in Gottes Hand.

Es geschah im Workshop Gelebte Spiritualität, eine winzige Gruppe, in der ich nur saß, weil meine Frau teilnahm. Niemand konnte sich verstecken. Zu Anfang bat die Workshopleiterin jeden Teilnehmer zu sagen, wie viel oder wenig man über Theresa von Avila wisse.

Als mir das Wort erteilt wurde, antwortete ich ganz ehrlich. Schließlich wusste ich nicht mehr über sie, als dass der Künstler Bernini die junge Theresa in einer Statue abgebildet hatte, die heute in einer Kirche nahe des Hauptbahnhofs in Rom steht. Theresa sah aus, als genieße sie gerade einen wahrhaft himmlischen Orgasmus. Was sie mir nie unsympathisch machte. Worauf ich einen Ellebogenknuff von meiner Frau neben mir bekam. Der Workshopleiterin aber schien dieser Vergleich keineswegs neu zu sein. Erst recht nicht abwegig.

Und dann begann sie zu erzählen. Von großen Menschen der Kirchengeschichte, die Theologie geschrieben haben. Wie zum Beispiel die Reformatoren, die auch unser freikirchliches Denken maßgeblich geprägt haben. Ich hörte, dass es in der Geschichte aber auch Menschen gab, von denen man in Freikirchen nur wenig hört, was eigenartig sei, weil man in Freikirchen doch gelebten Glauben betone und gerade diese Menschen uns zu helfen könnten, die große Theologie auf den kleinen Alltag herunterzubrechen. Als Beispiel nannte sie Johannes vom Kreuz oder Theresa von Avila.

Sie malte auf dem Flipchart und erzählte, dass ein Leben in der Anbetung Gottes für Theresa wie eine Burg war, oder ein Schloss, bestehend aus sieben herrschaftlichen Gebäuden* mit jeweils vielen Räumen und Höfen. Mit dem Betreten des Schlosses begibt der Neubekehrte sich das erste Gebäude, um Gott erstmals näher kennenzulernen. Wer die Räume des ersten Gebäudes durchlebt, mag wohl glauben, Gott nun wirklich zu kennen, nur um dann zu entdecken, dass das nächste Gebäude wartet, in dem die Reise weitergeht und wo alles ganz, ganz anders sein mag.

Jedes Gebäude bereite auf das nächste vor, aber, so lernte ich, viele Christen gäben sich ihr Leben lang nur mit den ersten ein, zwei oder drei Gebäuden zufrieden, würden deswegen Gott nie wirklich, voll und ganz kennenlernen. Gründe dafür mochten sein, dass Gott in den verschiedenen Gebäuden auch ganz anders erlebt werde, teilweise widersprüchlich sogar, und dies sei für jene zu anstrengend, die Gott klein und erklärbar halten müssten. Außerdem würde in den einzelnen Gebäuden Segen ganz anders ausgeteilt. Denn die Gärten des Glaubens müssen ständig bewässert werden, und während das Wasser an manchen Stellen wie Regen falle, so müsse man ihn an anderen mühsam aus tiefen Brunnen ziehen und schweißtreibend zu jedem einzelnen Beet schleppen – sehr viel Arbeit für nur einen Eimer Segen. Alles diene nur einem Zweck, nämlich Gottes Liebe zu erlernen, zu erfahren, zu genießen und zu leben, und dennoch – oder gerade deswegen – spiele Leid und Entbehrung eine so große und wichtige Rolle auf der Reise durch das Schloss, denn nur so würde der Mensch wirklich in seinem Glauben reifen.

Ich hörte zu wie ein Kind mit offenem Mund.

Wer nicht lerne, all dies zu hantieren, könne auch nicht bis zum siebten Gebäude vordringen: die völlige Vereinigung mit Gott, das Verschmelzen mit seiner Gegenwart und Liebe. Für Theresa war dies ein Zustand göttlicher Verzückung, so wunderbar, dass es weh tue, doch jenen Schmerz wolle man nicht missen, weshalb Bernini seine Statue auch „Die Verzückung der heiligen Theresa“ genannt hatte.

Das Schloss sei keine Einbahnstraße, lernte ich, man könne sich frei
bewegen in allen Gebäuden, die man bereits durchlebt habe. Manchmal gehe man
wieder zurück, manchmal nur in einen anderen Raum. Und wer es zulasse, mag von Gott zum nächsten Gebäude geleitet werden – mit vielen Überraschungen, viel Neuem und
reichlich Unbekanntem.

Mir stockte der Atem und die Stimme. Alles begann, mehr Sinn zu ergeben. Ich spürte Tränen in den Augen.

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* Die deutsche Übersetzung spricht von „Wohnungen“ in „der inneren Burg“, im Englischen redet man von mansions (Herrenhaus). Das spanische Original kenne ich nicht. Ich fand die Vorstellung eines Schlosses mit Gebäuden und Höfen größer, schöner und schmückender.

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