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Gute Nachricht?!

Manchmal ist’s zum Verzweifeln. Schon lange arbeite ich daran, die „Gute Nachricht“ wieder zu etwas Gutem zu machen. In Selbstversuchen versucht man da, gute Nachricht zu sein, bevor man predigt. Auch umgebe ich mich mit Leuten, die von Bibel & Co. keine Ahnung haben. Oder sich bewusst von Kirche abwandten, weil ihnen diese Art von Religion nicht gut, sondern eher schlecht tat. Immerhin lese ich im Neuen Testament, dass Jesus das ähnlich machte – er umgab sich mit Leuten, die mit religiösen Zeitgenossen wenig anzufangen wussten.

Es wurde meine Regel, solche Leute erst persönlich kennenzulernen. Ihnen zuzuhören, ein paar Meilen mitwandern. Ihnen authentisches Interesse geben. Doch was passiert, wenn man das länger macht? Es passiert folgendes: Die religiösen Fassaden, mit denen auch ich lange meinte, Gott und die Welt beeindrucken zu können, weichen auf. Irgendwann fegen sie davon wie Pappmaschee im Gewittersturm. Ist die fromme Fassade erstmal weg, steht der echten Begegnung zweier Seelen etwas weniger im Weg, dem Treffen zwei geplagter Gemüter im harten Wetter des Lebenssturms. Der ehrliche Blick zweier Augen in zwei andere, unter denen ein ebenso verletzliches, ängstliches und dennoch hoffendes Herz schlägt. Meiner Meinung nach ist es diese Begegnung, die dem Kern des Evangeliums am nächsten kommt: Du bist nicht allein, wirst gesehen, gehört, geschätzt und ernstgenommen. Du musst dich nicht verstellen. Du bist geliebt und nicht allein. Wer das einmal erlebt hat, bekommt eine Ahnung davon, wenn einem Gott durch die Augen Jesu in die Seele schaut.

Deshalb mache ich schon lange Vorschläge, wie wir mehr wie dieser Jesus werden könnten. Zum Beispiel, statt „Sünde“ nur als „vermeidbare“ religiöse Straftat zu deuten: Warum nicht auch als Zustand, dem wir nicht entkommen können, die entkräftete, alternde und sterbliche Verfassung der ganzen Menschheit? Statt immer nur Steine auf die verlotternde Sexualmoral zu werfen: Warum nicht lieber all die erschöpften Seelen stärken, die vor lauter Wahlmöglichkeiten überhaupt gar nicht mehr wissen, wohin des Wegs? Statt das vermeintliche Recht des Menschen auf Dominanz über die Schöpfung einzufordern: Warum nicht mal an der Seite jener jungen Menschen sitzen, die große, existenzielle Ängste vor ihrer Zukunft haben? Statt über eine unchristliche Zukunft zu klagen: Warum nicht lieber die eigenen Beiträge aufarbeiten, die nämlich auch zu den Ursachen eben dieser Zukunft gehören?

Viele Christen, so scheint mir manchmal, haben dem demütigen Gott noch nie wirklich in die Augen geschaut. Zwar nennen sie ihn „Herr!“ und tun viele große Dinge für ihn und in seinem Namen, doch sie scheinen ihn nicht wirklich zu kennen. Jesu entwaffnende Barmherzigkeit muss ihnen unbekannt sein. Weshalb es vielen schwerzufallen scheint, sich auch selbst mit ehrlichem Blick barmherzig in die Augen zu schauen. Im Spiegel sieht man lieber die eigene, beeindruckend fromme Fassade.

Und so bilden alte Christen ihre Nachfolger aus. Liebe Kinder, Jugendliche, Theologiestudenten: Wie formt man beeindruckendes Pappmaschee? Unsere katholisch-lutherische Kirchengeschichte lässt uns leider immer noch wenig Spielraum zur Deutung des Evangeliums. Mehr Schein als Sein ist in der Praxis immer noch viel wichtiger als das Gegenteil. Außerdem gehen wir immer noch unterbewusst von kirchlicher Macht und Stärke aus, als wären wir die Legislative und Exekutive der gesellschaftlichen Moral. Wir haben gelernt, lutherische Sprache mit katholischer Kultur zu verknüpfen, das macht fromme Fassaden wasserfester. Heimlich scheinen wir uns mehr darauf zu freuen, dass Gott als Judikative den ersten Stein wirft und der bösen Welt endlich mal zeigt, wer hier das Sagen hat. Nein, wir sitzen natürlich nicht händereibend in unseren Bibelstunden und warten schadenfroh auf das Jüngste Gericht. Andererseits haftet uns dieses Image schon ein wenig an. Wir haben nicht gerade den Ruf, gemeinsam mit der ganzen Schöpfung sehnsüchtig darauf zu warten, endlich auch selbst erlöst zu werden. Erlöst von unserer eigenen Arroganz, zum Beispiel. Schließlich haben es weder schrumpfende Mitgliederzahlen, noch eine immer größer wachsende LGBT-Gemeinschaft noch ein vor die Hunde gehender Planet geschafft, unsere Demut merklich zu fördern. Eher im Gegenteil.

Wo bleibt da die Gute Nachricht der Barmherzigkeit? Dass Gott uns entgegenrennt und uns lang und feste umarmt, egal, wie sehr wir stinken? Dass er unsere verlorene Ehre mit allem, was er hat, wiederherstellt – gleichgültig, wie dreckig und verlottert der Mensch auch angekrochen kommen mag? Wo ist die gute Nachricht, dass Jesus regelmäßig mit „Zöllnern und Sündern“ zu Tisch geschmaust und getrunken hat – jene Zöllner und Sünder, die die Religiösen seiner Zeit ebenso aufregten, wie es heute LGBT, Klimaaktivisten und anderen gelingt? Vielleicht lieben wir Fromme die eigene Tünche noch mehr als Gott die Welt. Das aber wäre überhaupt keine gute Nachricht. Wir sind doch berufen, zu lieben wie Jesus. Das gelingt zwar selten perfekt, aber auf jeden Fall sollte man allen Hochmut abstreifen. Denn wer hart urteilt, den wird ein hartes Urteil treffen. Da ist Jesus eindeutig. Wer barmherzig ist, darf Barmherzigkeit erwarten.

Wir Christen dürfen kein Anlass zur Verzweiflung sein. Wir dürfen auch nicht gleichgültig machen. Wir dürfen Anlässe zur Hoffnung geben und Neugierde wecken.

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