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Zu beschäftigt? oder: Gedanken zu Ps 103

Du bist definitiv zu beschäftigt wenn

  • du es dekadent findest, zum Zahnarzt zu gehen
  • dir die Zeit an der roten Ampel wie ein kleiner Urlaub vorkommt
  • du bewusst weniger trinkst um keine Zeit mit pinkeln zu verschwenden
  • du selbst unter der Dusche Telefonate empfängst und Notizen in die Seife ritzt
  • du deinen Laptop mit aufs Klo nimmst
  • du die Mikrowelle anschreist: „Verdammt nochmal, beeil dich endlich!!“
  • du während einem Geschäftsessen tatsächlich Geschäfte erledigst
  • du beim Lesen die Vokale überspringst
  • dein Hund gelernt hat, auch alleine Gassi zu gehen.

Durch unsere Arbeit mit CA und unsere Kinder auf der internationalen Schule lernen wir nicht nur viele Schweden, sondern ganz viele Menschen aus aller Herren Länder kennen. Und ich merke, wie sehr uns Deutschen international der (zweifelhafte?) Ruf der deutschen Effizienz, „Gschaffigkeit“ und Produktivität anhängt. Zusammengefasst: „Deutsche? Naja. Unfreundlich, schauen immer weg. Aber die Autos!!! Die sind stark!!!“ Das deutsche Auto ist besser als der Deutsche. Nun gehöre ich ja selbst zur Spezies der Teutonen. Und erst fern der Heimat merke ich, wie tief das auch in mir steckt. (So’n Sch…!) „Auf, auf! Lasst uns die Agenda füllen! Lasst uns einen Liter Saft aus einer einzigen Zitrone pressen!“ Oh, oh…! Stress zu haben ist ein westlicher Wert, und ein deutscher ganz besonders. Auch in christlichen Kreisen. Auch für mich. Ein voller „Tempus“ (das ist ein fetter christlicher Organizer) kommt gut an. Und oft fühlt es sich richtig gut an, sagen zu können: „Du, diese Woche geht’s wirklich nicht. Ich bin grad voll dick drin!“ Ist auch immer eine voll akzeptierte Ausrede. Stress ist gut. Wer keinen Stress hat, ist entweder krank oder scheint nichts zu taugen. Für mich war und ist das manchmal ein Problem hier. Kein deutsches Umfeld mehr, keinen deutschen Chef, keine Raser auf der Autobahn, meine Agenda kann ich selbst gestalten. Nicht mehr aufgabenorientiert sein, „nur noch“ menschenorientiert. Da bekommt ein Deutscher wie ich schon mal ein schlechtes Gewissen. Deswegen neige ich dazu, mir möglichst bald wieder selbst Stress zu schaffen, damit ich mich wieder echt gut fühle, weil ich mich so schrecklich gestresst fühle. Hey, Moment mal, gründet man so eine Gemeinde? Auf einem Fundament aus Stress?! Zum Glück habe ich ja doch noch einen Chef hier. Einen echt himmlischen. Und der sagt mir dann schon, wo’s langgeht. Vor ein paar Wochen flatterte plötzlich unabsichtlich und „zufällig“ ein Zettel aus einem Buch, das ich aus dem Regal nahm, flog durch die Luft und landete „zufällig“ direkt auf meinem Schreibtisch. Und darauf stand, vor Jahren von mir selbst handgeschrieben: Auf, mein Herz, preise den Herrn!
Alles in mir soll den heiligen Gott rühmen!
Auf, mein Herz, preise den Herrn
und vergiss nie, was er für dich getan hat!
Meine ganze Schuld hat er mir vergeben,
von aller Krankheit hat er mich geheilt,
dem Grab hat er mich entrissen,
er hat mich mit Güte und Erbarmen überschüttet.
Mit guten Gaben erhält er mein Leben;
täglich erneuert er meine Kraft,
und ich bleibe jung und stark wie ein Adler.
Ps 103,1-5Es war einer dieser Momente, wo das Schaf die Stimme des Hirten wiedererkennt (Joh 10,4) und es war, als bekomme ich Schaf gesagt: „Hey, mein Lieber, Gemeindearbeit ist kein Bürojob. Gemeinde ist auch keine Firma und du bist nicht als Manager oder Firmengründer hergekommen. Gemeinde ist eine Familie, etwas lebendiges. Mach nicht die gleichen Fehler immer wieder. Und ich bin nicht dein Chef, sondern dein Vater. Ein ganz besonderer Vater, aber dein Vater.“ Da hat er recht. Gemeindearbeit ist nicht gleich Dienstleistung. Gemeinde ist und bleibt etwas Transzendentes. Wenn Gemeinde nicht mehr für alle spürbar in Kontakt mit dem Ewigen steht, ist sie keine Gemeinde mehr. Nur noch Organisation. Institution. Und genau das wollen wir doch nicht. Wenn wir beim Lesen der Bibel die Vokale überspringen und Gebete nur noch an der roten Ampel gesprochen werden, läuft was falsch. Wir nehmen uns hier viel Zeit fürs Gebet, zum Beispiel durch die Gebetsmärsche. Und trotzdem – oder gerade deshalb – will man ständig in die alten (deutschen?) Muster zurückfallen. („Auf, auf! Nach so viel Gebet müssen wir jetzt endlich mal was richtiges, produktives TUN!“) Deswegen erinnere ich mich jetzt selbst daran – wie Vers 1: Auf, mein Herz, preise den Herrn! Täglich, mehrmals, immer wieder. Erinnere dich an seine Güte. Mach Dankbarkeit zu einer Gewohnheit. Fülle dein Herz mit Seiner Güte und Seinem Erbarmen, mit Seinen Gaben und Seiner Kraft! Lass es überfließen auf andere, wie Ströme aus lebendigen Wasser. Erst DANN können andere Menschen Gottes Wesen erkennen. Dann wirst du „effektiver“ sein als jeder Manager. Ein voller Outlook-Kalender wird die Menschen wenig beeindrucken. Das haben andere auch. Darin liegt wahrscheinlich das Geheimnis Jesu, der so viel getan hat und doch nie gestresst war. Das göttliche „Auf, auf!“ hat nämlich nichts mit menschlicher Effiziens, Zitronen auspressen und maximaler Zeitausnutzung zu tun. Es lautet: Auf, mein Herz, preise den Herrn und vergiss nie, was er für dich getan hat!

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