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Sozialunternehmen: Ein paar Grundlagen

Im vergangenen Gebetsclip erwähnte ich erstmals unsere Idee vom möglichen Start eines Sozialunternehmens. Es wäre nun vielleicht an der Zeit, ein bisschen mehr Hintergrund zu geben um verstehen zu können, wie wir denken. Ich werde wohl ein wenig ausholen müssen, und Ihr werdet Euch irgendwann bestimmt fragen, was diese Ausführungen eigentlich mit dem Thema „Sozialunternehmen“ zu tun haben. Antwort: einfach weiterlesen. Ihr werdet schon dorthinkommen, dass Ihr meinen heutigen Punkt zum Thema versteht.

Vorsicht: längerer Text! Ich bitte um Verzeihung…

„Höre, Kirche…!“

Eigentlich beginnt alles mit 5Mos 6,4: Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.

Dieses sogenannte „Schma Jisrael“ ist das Herz der fünf Mosebücher und damit des ganzen Judentums – und somit wiederum Wurzel, Fundament und zentrales Gen der Christenheit. Es diktiert  das monotheistische Wesen unseres Glaubens – ein Gott und kein anderer! – direkt gekoppelt an das Gebot der Nächstenliebe (im folgenden Vers, 5Mos 6,5). Versetzte man sich mit einer Zeitmaschine in die Wüste Sinai, als dieses Gebot ausgerufen wurde, so fände man sich in einer Welt wieder, die reich an Göttern und Riten war: Es gab eine Unzahl kurioser Gottheiten und Geister, die Aufmerksamkeit, Opfer und Gehorsam verlangten. Das Schma Jisrael war damals ein Kontrast, wie er krasser nicht hätte sein können: Premiere des Monotheismus für die Menschheit. Von Israel wurde allen Ernstes gefordert, sich einzig und allein den Regeln und Gesetzen eines einzigen Herrn und Gottes zu unterwerfen: JHWH. Rein praktisch hieß das, an 7×24 Stunden den Vorgaben nur eines einzigen Herrn zu folgen, ganz egal, was die Nachbarn sagen, die für alle Lebensbereiche eigene Götter hatten. Jemand anderes zu folgen als JHWH, war für Israel fortan gleichbedeutend mit Irrglauben oder Götzendienst. Wie schwer es Israel damals fiel, Monotheismus in einer polytheistischen Welt auszuleben, kann im ganzen Alten Testament nachgelesen werden.

Christliche Vielgötterei

Leider ist es auch uns Christen nicht gelungen, das Prinzip des Schma Jisrael, jene monotheistische Wurzel, aus welcher auch unser Glaube hervorgegangen ist, überzeugend in den christlichen Glaubensalltag zu integrieren. Theoretisch sind wir natürlich überzeugte Monotheisten, logisch. Kein Dogmatikbuch, keine fromme Zeitschrift würde es wagen, dies auch nur verdachtsweise in Frage zu stellen. In der Praxis hingegen sind wir alle so polytheistisch wie die alten Griechen. Das mag bitter klingen oder stutzig machen, aber es ist wahr.

Platonische Jünger

Viele Kirchentraditionen samt ihren wohlformulierten Dogmatiken wurzeln nämlich in der Tat mehr bei den Griechen als den Hebräern. Plato konnte sich offenbar mehr Gehör bei einigen Kirchenvätern verschaffen als Mose. Mose hätte zum Beispiel niemals gedacht – geschweige denn behauptet – dass ein körperlich freudenvolles Leben schlechter und ein geistlich freudenvolles Leben besser sei. Eine Trennlinie zwischen Körper und Geist gab es für Mose gar nicht, wäre ihm nie in den Sinn gekommen, der Mensch war für ihn eine untrennbare Einheit. Plato hingegen hat das nicht nur gedacht, er hat eine ganze Philosphie dazu entwickelt. In dieser Hinsicht hat Plato die christliche Dokmatik mehr beeinflusst als die jüdische Thora. Kaum jemand kennt die griechischen Quellen dieses Denkens in unserer Theologie, doch allen sind die Konsequenzen bekannt. Wenn im Neuen Testament von „Fleisch“ oder „fleischlich“ die Rede ist, deuten wir das am liebsten sexuell. Erst im Herbst 2013 sprach der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz wieder einmal kritisch von der Sündenhierarchie, nach welcher z.B. sexuelle Sünden schwerer wiegen als andere, nicht ganz so körperliche Vergehen.

All das ist Folge des hellenistischen Schismas, jener platonischen Trennung zwischen Körper = schlecht und Geist = gut. In der Kirchengeschichte führte dies zum fatalen Bruch zwischen Geistlichem und Irdischem. Wir unterscheiden immer noch deutlich zwischen kirchlich und weltlich, heilig und profan. An dieser Stelle liegen viele Hunde begraben. Glaube wurde deswegen zu einem Teilbereich des Lebens degradiert und nicht mehr als allumfassend verstanden.

Ein Keil im Herz

Wir alle kennen das, auch wenn es uns selten bewusst wird. In der Gemeinde leben wir das heilige Leben, auf der Arbeit das profane. In der Kirche haben wir andere Sprache, Tonfall, Verhalten, vielleicht Kleidung, oder Gesprächsthemen als in der Welt. Manchmal sogar andere Namen. Ein philosophischer Keil trennt Gemeinde (= heilig, geistlich, gut) vom Alltag in der Welt (= profan, körperlich, nicht so gut). Für Fromme wird die Welt damit zu Last. Sie nervt und kostet Kraft. Man schleppt sich vom guten Gottesdienst durch den profanen Alltag zum erquickenden Hauskreis und danach weiter zum nächsten, rettenden Gottesdienst, wo die christlichen Batterien wieder geladen werden können, welche von der Welt erbarmungslos leergesaugt werden.

Für die weltlichen Menschen auf der anderen Seite wird nicht selten die Kirche zur Last mit all ihren Heiligkeitserwartungen, die man sowieso niemals erfüllen kann oder will. Kirche nervt entweder, ist nur was für bestimmte Leute (denen sowas halt liegt) oder ist einfach nur weltfremd. Es klafft ein Riss im Leben: Auf der einen Seite gibt’s heilige Angelegenheiten, auf der anderen weltliche.

Auf die Spitze mag es vielleicht die katholische Kirche mit ihrer Theologie der Gnadenmittel getrieben haben: Egal, wie weltlich und unheilig man auch lebt, solange man nur die heiligen Sakramente der heiligen, katholischen Kirche empfängt, ist alles bestens. Die heiligen Riten, von heiligen Profis durchzuführen, verwandeln jeden weltlichen Lebenswandel in göttlichen Segen. Die Taufscene in Mario Puzos „Der Pate“ veranschaulicht perfekt diesen heuchlerischen Dualismus: Während des langen, fast magischen Taufrituals des Priesters schwört der „Pate“ Michael Corleone dem Teufel ab, gleichzeitig werden seine Rivalen auf seinen Auftrag hin von Untermännern umgebracht.  Nichtkatholiken aufgepasst: Auch bei uns gibt’s eine klare Trennung zwischen fromm und weltlich. Diesseits frömmelt man, jenseits nicht. Und im schlimmsten Fall werden wir zu Schauspielern: Fromme schaupielern „Mensch von Welt“, weltliche schauspielern Lobpreis. Im allerschlimmsten Fall schauspielern wir auf beiden Seiten.

Egal, wo wir uns bewegen, wir folgen den Anforderungen der Umwelt und benehmen uns entsprechend. Pastor, Chef oder Schwiegermutter bestimmen den jeweiligen Codex. Zeitgemäßer Polytheismus besteht darin, dass wir dem jeweiligen Gruppendruck leichter folgen als unserem einen Herrn, der an 7×24 Stunden möchte, dass wir einzig und allein Ihm folgen, ganz egal, was andere sagen. Wir sind eigentlich genauso erfolglos im Ausleben des Monotheismus wie Israel im Alten Testament. Unser Versagen fällt uns besonders dann auf, wenn wir unfreiwillig zum Rollentausch gezwungen werden: Wenn z.B. in der Welt herauskommt, dass ich heilig bin. Oder wenn in der Gemeinde herauskommt, dass ich weltlich bin. Wenn meine Kollegen in der Kirche auftauchen und merken, dass ich da ein ganz anderer bin. Oder wenn der Pastor auf dem Job auftaucht und das gleiche feststellt (vielleicht wurde er ja Ohrenzeuge einer Unterhaltung mit meinen Kollegen oder er entdeckte diese geilen Bilder in meinem Spind). Wenn die falsche Rolle plötzlich auf der falschen Bühne gespielt werden muss und ich einfach nicht mehr zusammenbringe, wie ich mich verhalten soll. Ist alles nur Theater? Wer bin ich wirklich? Eine gespaltene Persönlichkeit?

Keil raus, Herz heil?

Als Antwort sollte 5Mos 6,4 vom Himmel donnern: Höre, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Du hast nur einen Herrn. Du sollst ausschließlich IHM folgeln, in Klammern: und nicht all den Hammeln um dich herum, denen du gefallen möchtest, Klammer zu. Du musst Gott mehr gehorchen als den Menschen, würde Petrus sagen. Gott in jeder Lage mit deiner individuellen Art zu folgen, das ist deine Identität. Das bist du.

Wir haben nur einen Gott und jeder von uns ist ein Mensch, entsprechend sollte jeder von uns an jedem Ort ein und derselbe sein und als solcher erkennbar bleiben. Wir sollten auf Frage A nicht hier mit X und dort mit Y antworten denn genau das ist Heuchelei, der Beweis eines gespaltenen Rollenspiels. Wir müssen also lernen, ehrlich zu werden. Erstmal Gott, dann uns selbst gegenüber. Man muss diese hellenistische Spaltung des Herzens zugeben können. Das ist ein guter, erster Schritt. Danach kann man schrittweise authentischer, heiler werden. Aber wie?

Ich habe in meinem Leben viele, viele Gottesdienste erlebt. Tolle, tote, beeindruckende, langweilige, kuriose. In vielen Ländern, auf vielen Sprachen. Ich dachte immer, dass hier Nachfolge gelehrt und geübt wird. Aber irgendwie hat mir keiner wirklich geholfen, in meinem Alltag authentischer zu werden. Sie haben mir geholfen, als Heiliger noch heiliger zu werden, keine Frage. Doch wie sollte ich heil werden? Die meisten Gottesdienste waren wie Schwimmkurse auf dem Trockenen, theoretische Lektionen im Klassenzimmer, die mit Musik, Text und Reden zeigten, wie ich sein und es anstellen sollte, dort draußen im nassen Element. Manch gutem, predigendem Schwimminstrukteur musste ich jedoch innerlich die Frage stellen, ob er überhaupt weiß, wovon er spricht, ob er je schon mal nass geworden ist, geschweige denn gekentert und sich mit Klamotten bei kalter Strömung über Wasser halten musste. Ob er weiß, wie es sich anfühlt, durch eine Stromschnelle getrieben zu werden, hilflos wie ein Herbstblatt? Wie schwimme ich da? Mal ehrlich: Meist werden die wahren Knackpunkte des Lebens im Gottesdienst doch gar nicht angesprochen. Sie sind viel zu weltlich, unheilig, profan. Außerdem möchte niemand dort zugeben müssen, dass man genau damit zu kämpfen hat. Nicht selten fühlte ich mich also im Theorieschwimmkurs allein mit meiner nagenden Frage: Wie wiedervereinige ich meine heiligen und profanen Naturen zu einem heilen, glücklichen Ganzen, zu einer Einheit, die Gott Ehre gibt? Praktisch, alltagstauglich und auf dem Teppich bleibend, sozusagen unter dem Schma Jisrael? Ein Leben, ein Gott, ein Herr für alle Lagen? Wie können wir das geschiedene Paar „Heilig“ und „Profan“ zur Wiederhochzeit bewegen?

Herzgymnastik

Und plötzlich klang es ganz logisch: Ein Schritt könnte doch wohl sein, indem wir Kirche und Arbeit vereinen. Ora et labora, bete und arbeite. Ganz einfach! Es ist der Arbeitsplatz, wo wir den Großteil unseres Lebens verbringen und seit dem Sündenfall im Schweiße unseres Angesichts unser täglich Brot verdienen. Es ist der Alltag, wo wir ständig Entscheidungen treffen müssen, wie wir was machen, wie wir mit wem über was reden, wer unsere Zeit und unsere finanziellen Investitionen bekommt. Hier geschieht Nachfolge – oder eben auch nicht. Hier im Wasser muss geübt werden, trainiert, mitten im Dreck, mitten im Leben! Hier brauchen wir etwas Neues. So was wie einen Arbeitsplatz, der Jünger macht.

Geht das? Ich weiß es noch nicht. Eins ist jedenfalls klar: Wenn Theologie zu nicht mehr in der Lage ist, als sonntags von der Kanzel gepredigt zu werden oder in dicken Büchern zu verstauben, wenn Theologie wirklich so wenig Alltagsbezug hat sollten wir’s ehrlich zugeben und besser einpacken. Meiner Meinung nach hat Theologie aber das Zeug, eine ganze neue Welt mit neuem Leben und neuen Ideen hervorzubringen und auferstehen zu lassen. Hier denke ich nicht nur an die Neue Schöpfung, die eines Tages alles einmal erneuern wird. Ich denke an Erneuerungen und Bewegungen, wie der Heilige Geist sie durch die ganze Geschichte immer wieder hervorbrachte. Ich glaube an die Allmacht Gottes, und dass Er diese Macht dem Auferstandenen hat zukommen lassen. Mit Ihm als Alleinherrscher können ungeahnte Erneuerungen erwartet werden.

Heruntergebrochen auf unseren hiesigen Alltag bedeutete dies: Die Idee zum Sozialunternehmen war empfangen – wobei zu der Zeit noch keine Rede vom Begriff „Sozialunternehmen“ war. Das kam erst viel später auf den Tisch als wir uns auf die Suche nach praktischen Ansätzen machten.

Und ehrlich gesagt: eigentlich ist es eine uralte Idee, und sie stammt auch nicht wirklich von mir. Ich versuche nur, eins und eins zusammenzuzählen. Wenn überhaupt, dann habe ich sie bestenfalls „kontextuell reinkarniert“.Wie sagte doch schon der Prediger im Alte Testament: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

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