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Der Glaube aus der Predigt

Vor etwa 20 Jahren erfand die Süddeutsche Zeitung ihr wöchentliches Jugendmagazin „jetzt“. Der Verlag wollte vor allem junge Leser an das Lesen längerer Texte gewöhnen. Man nahm sich also seiner potentiellen Kunden der Zukunft an, an denen man feststellte, dass langes Lesen für sie nicht mehr selbstverstänflich ist. Diese Beobachtung ist nur eines der Millionen Veränderungsmosaiksteinchen unserer Zeit.

Kirchen und Gemeinden sollten das auch mal bedenken. Immerhin sind jetzt schon wieder 20 Jahre nach dem „jetzt“-Start ins Land geflossen. Doch die Veränderungen gehen weiter, fordern „Friss oder stirb!“ und machen gnadenlos vor nichts und niemand halt. Nicht nur die Zeitungsbranche schlittert mittlerweile in eine ernste Krise.

Wenn man von der Bibel und Gemeindebriefen mal absieht, kommunizieren Kirchen heute weniger durch gedruckte Medien. Unser Hauptmedium ist die orale Verkündigung, schließlich sagt Paulus, dass Glaube aus der Predigt komme. Unsere Gottesdienste sind im Prinzip alles unterschiedlich gestaltete Predigten. Und das Zentrum und Allerheiligste unserer Gottesdienste ist eben die „richtige“ Predigt, die von der Kanzel. Prediger genießen nicht selten einen besonderen Status; predigen zu dürfen ist Ehre, Verantwortung und Aufregung.

Unsere Tradition zur Gottesdienstgestaltung stammt übrigens aus Nehemia 8,1-12. Es ist eine lange, lange, sehr lange Tradition, die wir dort entwickelt und bewahrt haben. Doch Veränderung macht auch vor uns nicht Halt. Hier ein Beispiel: Zu biblischen Zeiten war mündliche Überlieferung gang und gäbe. Eine Bergpredigt zum Beispiel. Nur einmal gehört konnte sie jeder hinterher zu Hause wörtlich wiedergeben. Heutzutage kann man sich noch nicht mal die eigene Telefonnummer merken, geschweige denn drei Bibelverse. Über Jahrhunderte waren Gottesdienste reine Monologe mit einer völlig passiven Gemeinde, die schweigend in den Bänken zu sitzen hatte. Das war sicher auch gut so und vielleicht genau das, was in jenen Zeiten gebraucht wurde. Doch heute?

In den vergangenen zwei Wochen war ich in zwei verschiedenen Freikirchen, die beide als eher jung und jugendlich bekannt sind. Beide Gottesdienste waren sehr gut und powervoll. (Jedenfalls für mich als Christ, Kirchgänger und studierten Theologen.) Beide Gottesdienste dauerten etwa 90 Minuten, davon etwa 30 Minuten Predigt. Abgesehen von Gesang und Abendmahl gab es in keinem der beiden „jugendlichen“ Gottesdienste irgendwelche Elemente, die Respons, Gespräch, oder Interaktion zuließen. Ehrlich gesagt: Für Nichtkirchengänger erfordert es schon ein gehöriges Maß an Konzentration und Wille, das Woche für Woche mitzumachen, ohne irgendwie darauf vorbereitet zu werden. Was also ist unsere Strategie? Wie bereiten wir unsere potentiellen „Kunden“ der Zukunft auf unsere Gemeindekultur vor? Meine Befürchtung: gar nicht.

Wenn ich also diese Woche auf der Kölner Photokina, der weltgrößten Messe für Foto und Kameras war, dann nicht nur aus persönlichem Interesse oder wegen der einfachen Möglichkeit, meine Mutter mal wieder besuchen zu können. Meine Hauptmotivation ist die Frage, wie man zeitgemäße, bildende Kunst bewusst in unsere Verkündigung des 21. Jahrhunderts einbauen kann.

Ein Blick auf die Kölner Domfenster beweist, dass Kunst schon immer ein Teil der Verkündigung war. Ein Blick auf die Guttenberger Druckerpresse beweist, dass Christen nicht immer so schlafmützig waren, wenn es darum ging, neue Technologien für ihre Zwecke und zur Ehre Gottes einzusetzen. Ein Rundgang auf der Photokina beweist, dass hier gerade eine Entwicklung abgeht, die phänomenal für Gottes Reich sein könnte, wenn wir Christen nicht im Freikirchenschlaf viel zu sehr damit beschäftigt wären, wieder einmal den Anschluss zu verpassen. Denn zur Predigt, aus der der Glaube kommt, braucht es nicht zwingend eine Holzkanzel à la Neh 8.

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