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Lust. Auf Hermeneutik.

Heiliger Höhepunkt: Berninis „Verzückung der heiligen Theresa“ in der Santa Maria della Vittoria-Kirche in Rom.

Impuls Nummer zwei: Hermeneutische Hausaufgaben

(hier geht’s zurück zum Impuls Nummer eins)

Alle modernen und postmodernen Phänomene, die nicht explizit in Bibel erwähnt sind, erfordern gründliche und genaue hermeneutische Arbeit. Hermeneutik bedeutet, die zeitlosen Prinzipien zu identifizieren, welche uns dann im Grunde in jedem Kontext durch alle Situationen, jeden Fall leiten können. Ein einfaches Beispiel zur Erklärung wäre, dass die Bibel nirgendwo Bier erwähnt. Nun könnte man die Bibel entweder so auslegen, dass man gar kein Bier trinken soll – schließlich ist es nirgendwo erlaubt, oder man darf so viel saufen, wie man reingeschüttet kriegt – schließlich ist es ja nicht verboten. Die Bibel spricht hingegen über Wein. Wie sie über Wein spricht, kann uns ein zeitloses Prinzip offenbaren: Wein wird in beiden Testamenten immer wieder genossen, allerdings sagt Eph 5,18, dass man sich nicht am Wein „vollsaufen“ soll, weil daraus ein „unordentliches Wesen“ folgt. Das Prinzip kann sein: Alkoholische Getränke können durchaus in Maßen genossen werden, solange es nicht zu Vollrausch oder Abhängigkeit führt. Dies ist in allereinfachster Form die hermeneutische Arbeit, die es zu machen gilt.

Sex hingegen gibt es mehr als genug in der Bibel, auch Homosexualität ist oft erwähnt. Trotzdem kommt man um hermeneutische Arbeit nicht herum. Als CA-Leiter haben wir deshalb dazu sämtliche Texte zum Thema im AT und NT in ihren Grundsprachen samt Septuaginta analysiert, sind die ganze Auslegungsgeschichte durchgegangen, haben gebetet und diskutiert. Wie müssen die Richtlinien finden, die wir heute, hier und jetzt, in unserer Zeit brauchen. Denn unsere Zeiten haben sich ganz dramatisch geändert, und Hermeneutik schafft keine abstrakten Doktrine, sondern will konkret und anschaulich in den jeweils aktuellen Kontext hineinsprechen. Gute Hermeneutik beinhaltet also nicht nur tiefgehende biblische Exegesen, sondern auch fundierte Kulturexegesen. Ich persönlich sehe einige ganz gewaltige Änderungen unserer heutigen Kultur verglichen mit vergangenen Zeiten. Zwei davon möchte ich hier erwähnen.

  • Erstens: Der „Hauptzweck“ des Sex hat sich gewaltig verändert. Für den größten Teil der Menschheit zu allen Zeiten war Sex hauptsächlich zur Vermehrung und Arterhaltung da – mit Vergnügen als erfreuliche Nebenwirkung. Jedes Volk braucht zur Arterhaltung eine Überlebenrate von 2,1 Kindern pro Frau und Lebenszeit. Die durchschnittliche Fruchtbarkeitsrate lag weltweit aber bei ca. 6-8 Kindern pro Frau und Lebenszeit. Da die Weltbevölkerung über Jahrtausende kaum gewachsen ist, können wir errechnen, dass 4-6 Kinder pro Frau die Pubertät nie erreichten. Obendrein starb so manche Frau, bevor sie überhaupt vier Kinder gebären konnte. Um nicht zu schrumpfen oder gar auszusterben war Menschheit also mehr oder weniger gezwungen, ständig Kinder zu machen – und wie das geht, tja, das weiß man halt.Heute beerdigen nur sehr wenige Eltern ihre Kinder. Kinder sind auch nicht mehr überlebenswichtig. Heute ist Spaß, Vergnügen und persönliche Erfüllung Hauptzweck sexueller Aktivitäten – Kinder sind nur eine mögliche, aber meist ungewollte Nebenwirkung. Zum allerersten Mal in der Menschheitsgeschichte können wir uns demografisch gesehen nichtreproduktiven Sex in all seinen Formen leisten – und entsprechend tun wir es auch. Alle westlichen Länder haben eine Fruchtbarkeitsrate von weit unter 2. Dies ist ein enormer, nicht zu unterschätzender Unterschied unserer Zeit im Vergleich zu allen anderen Epochen. Dieser Unterschied prägt unsere Kultur und unser ganzes Denken ganz gewaltig und wird es in Zukunft weiter prägen. Unsere Kinder wachsen mit Grundsätzen auf, die mit denen in der Geschichte so gut wie nicht vergleichbar sind.
  • Zweitens: Wie ich bereits in meinem dritten Teil der Serie „Be the Gospel“ erwähnte, befinden sich nahezu alle Menschen des postmodernen Zeitalters in einer Art Identitätskrise. In Zeiten, wo alles geht, weiß keiner mehr, wer oder was man eigentlich ist. Ausgelebte Sexualität ist für viele eine Art des Versuchs, sich selbst zu finden. Obendrein wird vielen Schülern heute zunehmend beigebracht, dass man erst herausfinden wird, ob man nun Homo, Bi oder Hetero ist. Wie kriegt man das heraus? Indem man es ausprobiert. Ich wage also zu behaupten, dass wir es hier mit einer weitaus größeren Sache zu tun haben als nur einem nach christlichen Traditionen ethisch zweifelhaften Verhaltensweisen. Und wenn hier eine größere, vielleicht sogar riesengroße Angelegenheit vorliegt, muss das in unserer Hermeutik berücksichtigt werden. Es nützt nicht viel, nur Symptome zu behandeln. Wir müssen und sollten zum Kern vordringen.

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