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Pastorenselbstmord

Pastorenselbstmord? Gibt’s das? Leider ja. Und nicht nur das. Die Zahl der hauptberuflichen Hirten, die im Freitod ihre Erlösung suchen, nimmt sogar zu. Neulich postete mein Facebookfreund E.:

EIN WEITERER PASTOR BEGEHT SELBSTMORD

Mein Herz ist schwer heute. Vergangenes Wochenende hat schon wieder hat ein Pastor seinem Leben ein Ende gesetzt. Der junge, liebevolle, begabte und beliebte A., Pastor der B.-Gemeinde in C. erlag am Samstag im Krankenhaus den Verletzungen seines Selbstmordversuches. Er lässt eine junge Frau und drei Kinder zurück. Es ist unglaublich, dass ausgerechnet Pastoren und Gemeindeleiter die Spitze der Statistiken über Burn-out, Depression und Selbstmord anführen! 

Ich bin selbst leitender Pastor einer Gemeinde, daher verstehe ich A. nicht nur, ich empfinde sogar großes Mitgefühl. Nur sehr wenige können sich die überwältigende Last vorstellen, die Pastoren Tag für Tag auferlegt wird. Viele Gemeinden erwarten, dass ihre Pastoren einfach alles können, wie maßgeschneiderte, geistliche Superstars. Gute Verwalter sollen sie sein, geschickt im Umgang mit Internet und Technik, stets freundlich, rund um die Uhr zugänglich. Sie sollen möglichst cool und hip sein, jede Sünde und Fehlleistung gerne vergeben, sie müssen tolerant sein, voller Gnade für sämtliche Sünden und Launen, sie sollen „allen Menschen alles werden“ und nicht zuletzt wird erwartet, dass die mitreißende Prediger sind und auf der Kanzel glänzen. Als Seelsorger sind sie außerdem geistliche Müllwagen ohne Deponie zum Abladen. Sollten sie es aber wagen, über den Müll in ihrem Inneren zu reden, wird ihnen Bruch der Schweigepflicht vorgeworfen. Natürlich gibt es alle möglichen Pastoren. Manche sind wirklich nicht besonders liebevoll zu ihrer Herde oder mögen ihre Berufung gar nicht. Doch in meinem Herzen denke ich heute an alle, die den Herrn lieben, an jene Menschen und Diener, die einfach völlig überwältigt sind von den Erwartungen und Ansprüchen der Gesellschaft und der Gemeinden.

Jes 40,31 gibt mir Leben. Dort finde ich die Kraft zum Weitergehen. Doch darf ich euch heute bitten, für alle Pastoren und Gemeindeleiter zu beten? Möge Gott uns allen barmherzig sein. 

E.’s Worte machen mich nachdenklich. Auch ich kann seine Schilderungen nur allzugut verstehen. Schon vor zwei Jahren hatte ich in einem Video angedeutet, dass in Zukunft vermutlich sehr viele christliche Leiter große Krisen durchmachen werden. Als Agent der Gemeinde der Zukunft möchte ich aber nicht nur, dass Gemeinde überlebt, ich möchte, dass sie eine ganz neue Stärke entwickelt. Wir werden in Zukunft ohnehin mit deutlich weniger Christen im Lande auskommen müssen, da müssen wir äußerst vorsichtig sein, dass wir nicht auch die noch loswerden, die sie leiten könnten. 


Aus diesem Grunde möchte ich kurz drei Lügen richtigstellen, die wir gerne glauben, wenn auch unterbewusst, und die uns heimlich zum Abgrund treiben.

Gemeinde ist keine Show

Wahrscheinlich stimmen hier zwar erstmal alle zu. Doch bei genauem Hinsehen stellen wir schnell fest, wie lange wir Willow-Creek, Hillsong und Consorten unseren Glauben schenkten, die uns seit Jahren nonverbal ihre (fragwürdige) Theologie predigen, dass Gemeinde weltweit Millionen Euros in Bühnentechnik, Licht, Sound und Effekte stecken muss. Gewiss, es mag ein gut motivierter Versuch gewesen sein, Gemeinde zu kontextualisieren, doch Show-Business sollten wir besser anderen überlassen. Im Photoshopzeitalter ist Echtheit Mangelware; Filter, Schminke und Effekte bekommen wir an jeder Ecke nachgeworfen. Ein Pastor ist weder Showmaster noch Produzent. Worship ist kein Konzert. Unterbewusst verführt uns diese Strömung zu glauben, nur Megachurches haben es „geschafft“. Der Druck legt ein unglaublich schweres Joch auf die Schultern ihrer Leiter, und dieses Joch kann nicht von Jesus sein. Damit sollte es leichtfallen, Eugene Peterson zuzustimmen, der letztes Jahr in einem Interview sagte: „Eine Gemeinde, wo der Pastor nicht alle Namen seiner Mitglieder kennt, ist gar keine Gemeinde.“ Vielleicht ist eine Showgemeinde sogar eine Krankheit. Wenn nicht, hat sie auf jeden Fall großes Potenzial, ihre Mitglieder krank zu machen.


Gemeinde ist nicht für die Perfekten

Vermutlich ist die Lüge, wir müssen uns perfekt darstellen, die Zwillingsschwester der Showlüge, so nahe sind sie verwandt. In einer Showgemeinde ist es nämlich leicht, den perfekten Christen zu spielen, solange man Rituale und Vokabular beherrscht. Doch die Grundannahme, dass Christen „perfekt“ sein müssen, wurzelt nicht in Showgemeinden. Sie ist eine Frucht europäischer Kirchengeschichte. Priester und Pfarrer hatten eine Vormachtstellung in der Gesellschaft. Sie besaßen schließlich gute Ausbildungen, finanzielle Mittel, staatliche Macht im Rücken. Wer so tausend Jahre von hohen Kanzeln predigt, macht sich selbst zur Ikone. Die Ansprüche des „gemeinen Volkes“ steigen entsprechend. Heutige Geschichten vom bitteren Versagen der Ikone sind immer noch ein gefundenes Fressen. Die Folge: Lieber schauspielert man den Perfekten.


Ist das Gemeinde?! Oder nur noch eine Krankheit? Die Jünger Jesu waren nämlich in Wahrheit ein Musterbeispiel der Unvollkommenheit – und das, obwohl sie Tag für Tag Jesus höchstpersönlich so unglaublich nahe waren. Genau das sollte Gemeinde kennzeichnen: Imperfektion und Jesusnähe. Nur dann wird authentische Liebe und glaubwürdige Gnade geübt. Dann würden uns die Sünder wieder nachlaufen und weniger Leiter unter dem Druck (schein-)heiliger Ansprüche zerquetscht.


Es gibt kein „Erfolgsevangelium“

Es war einmal das Wohlstandsevangelium. Es predigte die gute Nachricht, dass Gott dich mit Gesundheit, Haus, Boot, Auto, Harley Davidson und Privatjet segnet, wenn Du nur dem Herrn gehorchst. Mittlerweile spricht sich aber herum, wie lächerlich und unbiblisch eine solche Theologie ist, und ganz Gallien wurde von dem Unsinn befreit. Ganz Gallien? Nein, die unbeugsame Lehre verbreitet sich weiterhin unter namenloser Tarnkappe als Erfolgsevangelium: Gute Christen sind erfolgreich. Wenn nicht materiell, dann zeigt sich der Segen anderweitig. Man findet das Erfolgsevangelium so ziemlich überall. Vor allem dort, wo es messbar ist, Gottesdienstbesuch, Budgets, Klicks, you name it. Ein Auswuchs ist die Züchtung einer Fromikultur (Fromi = fromme Promis), wo der vermeintlich erfolgreiche Botschafter wichtiger ist als die vermeintlich erfolglose Botschaft. Ernten wiegt mehr als säen, weil sicht- und messbarer. Doch wo heute niemand sät, wird morgen nur noch weniger zu ernten sein. Damit wird die Last des Erfolgsevangeliums vom Schneeball- zum Lawinengewicht anschwellen und vermutlich viel zu viele verschütten. Auch dieses Joch kann nicht von Jesus sein. Apropos Jesus…
 
… wie definiert Jesus denn Erfolg? War es nicht das Geringste, womit wir unserem Nächsten gedient haben? Ist Reich Gottes nicht in Wahrheit die Eroberung der Liebe des leeren Raumes zwischen einsamen Seelen? Sagte Jesus nicht, „recht so, du guter und treuer – nicht: erfolgreicher –  Knecht?! 


Hab Erbarmen, Herr!

Es gibt so viel zu lernen, wenn wir die nötige innere Stärke für die Zukunft aufbringen wollen. Ich kenne die junge, hübsche Familie auf dem Foto oben nicht persönlich. Doch das braucht es auch nicht, um mir das Herz zu brechen. Es tut mir auch so unglaublich weh, dass sie nun ohne Liebling und Papa weiterleben muss. Und wenn A’s Tod dazu beiträgt, dass wir anfangen, unsere theologischen Hausaufgaben zu machen, um auch in zukunft überlebensfähig zu bleiben, dann hat diese Familie einen sehr, sehr, sehr hohen Preis dafür bezahlt.

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