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Wer ist weise?

Etappe 2

Weisheit fliegt uns nicht gebraten in den Mund. Finden wird sie nur, „wer nach ihr gräbt wie nach Silber“ so steht’s im biblischen Buch der Sprüche geschrieben. Doch eine Mine in den Berg schürfen kostet viel Schweiß und Blut. Jesus hingegen hatte überhaupt nichts gegen diese Form des Bergbaus. Im Gegenteil, er schien es mit Geschichten wie vom vergrabenen Schatz oder seinem Spruch „Nur wer suchet, der findet“ bestätigen zu wollen und hat deshalb vorsichthalber nur in Rätseln geredet und zwar gleich so chiffriert, dass selbst seine eigenen Jünger nicht so ganz verstanden, was der Meister jetzt eigentlich sagen wollte. Dieses Prinzip hat sich immer noch nicht geändert. Bis heute bleibt die Frage berechtigt, wo genau die Perlen und wer die Säue sind.

aus Jeremia 9

Wer die Weisheit der Propheten verstehen will, muss erst herausfinden, dass alttestamentliche Prophetie komplex und vielschichtig ist. Man könnte sagen, dass es immer mindestens zwei Adressaten gibt, oft mehr. Der erste und mit Abstand wichtigste Adressat sind bzw. waren die Originalhörer. Im Falle Jeremias waren das im damals geteilten Reich Israels die Bewohner des Südreiches. Jene ursprüngliche Botschaft an Israels Südreich zur Lebenszeit Jeremias setzt die Agenda, und alles, was andere, spätere Adressaten daraus entnehmen mögen, muss sich an der Originalbotschaft messen lassen. (Ich möchte das betonen, weil die Bibel oft schlampig ausgelegt wird.) Der zweite Adressat war ganz Israel, alle Juden einschließlich folgender Generationen. Deshalb wurde es in den Kanon der alttestamentlichen Schriften aufgenommen. Damit war es auch eine Botschaft an Jesus selbst und alle seine Zeitgenossen. Der dritte Adressat sind dann jene, die in den Baumstamm Israel eingepropft worden sind (O-Ton Paulus), d.h. die Gemeinde. Drei Hörer zu drei verschiedenen Zeiten (1. Israel’s Südreich zu Jeremias Zeit, 2. alle Juden nach Jeremias Dienst und 3. die weltweite Gemeinde nach Pfingsten) mögen drei recht verschiedene Botschaften aus demselben Originaltext entnehmen, und doch schwingt alles harmonisch zusammen wie ein Akkord; die Originalbotschaft aber bildet immer den Grundton. Das ist das Wunderbare am Mysterium der Bibel. Und so manche Message, die Old Jerry & Co eigentlich an ihre Zeitgenossen richteten, würde in geheimnisvoller Weise erst viele tausend Jahre später so richtig relevant werden. Wer nun lernen will, das Eine richtig vom Anderen unterscheiden zu können, sollte besser heute als morgen mit dem Schürfen beginnen. Denn diese Arbeit braucht Zeit, und niemand kann sie dir abnehmen.

Ich bin mir sicher, dass vielen beim Betrachten des obigen Bibelauschnitts folgende Worte besonders aufgefallen sind:

  • Land,
  • öde,
  • Wüste,
  • Gesetz verlassen.

Warum ich mir sicher bin? (Vor drei Jahren wäre ich es noch nicht gewesen.) Doch heute sind wir auf diese Konzepte sensibilisert. Wir mögen zwar eine modernere Terminologie gewohnt sein (z.B.

  • Planet,
  • Dürre,
  • Waldbrände,
  • Wissenschaft),

aber die unerwartete Ähnlichkeit zu einem uralten Bibeltext weckt unterbewusst unsere Aufmerksamkeit. Plötzlich bekommt die Frage „Wer ist weise, (die Bibel) zu verstehen?“ unerhörte Aktualität. Ich jedenfalls werde extrem hellhörig, wenn ich den Eindruck gewinne, das Alte Testament habe uns ausgerechnet heute mehr zu sagen als je angenommen. Denn neuerdings bin ich mir manchmal gar nicht sicher, ob ich gerade die Bibel oder die Zeitung lese, so sehr verblüfft mich die Ähnlichkeit mancher Inhalte.

Doch alles der Reihe nach.

Gesetz und Land

In diesen Versen erkennen wir den auffallenden Zusammenhang zwischen „Gesetz“ und „Land“. Für Juden ist die Beziehung zwischen Glaube und Erde zwar eine allgemeine Selbstverständlichkeit, ihre ganze Identität war schon immer an „Land“ gekoppelt. Bei Abraham war es anfangs noch ein Land, nach Mose zogen sie dann endlich in das (gelobte) Land. Jüdischer Glaube ist sehr irdisch. Aber vielleicht nahmen die Juden des Alten Testamentes gerade deshalb Gott, ihren doch eher transzendenten Liebhaber, gar nicht mehr ernst und wandten sich lieber irgendwelchen Totempfählen (Baalen) zu, die konnte man nämlich sehen und anfassen. Die daraus entstandene brutale Verrohung der Kultur war Old Jerrys großes Problem mit seinen Zeitgenossen: Das Gesetz wurde abgeschafft, man sah den Zusammenhang zwischen Gesetz und Land nicht mehr.

Heute haben wir, Adressat Nr. 3, ein ähnliches Problem. Nein, ehrlich gesagt sind wir sogar schlimmer dran. Wir Eingepfropften übersehen nämlich nicht nur den Zusammenhang zwischen Gesetz und Land. Wir Christen sehen gar kein Gesetz (und gemeint ist hier die Thora, das Gesetz des Mose), weil wir erfüllt mit abgeschafft verwechseln. Rein praktisch haben wir das Gesetz entsorgt – auch wenn wir das theologisch nie zugäben. Obendrein sehen wir kein Land! Anders als bei den Juden ist unsere Identität als Christen nicht an ein bestimmtes Gebiet gekoppelt. Entsprechend haben wir das Kinde mit dem Bade ausgeschüttet und die jüdische Diesseitigkeit des Glaubens ebenso abgeschafft und theologisch durch ein diffuses Jenseits ersetzt. Oder wir fielen auf der anderen Seite vom Pferd und haben den geografische Missionsbefehl von Jerusalem über Samaria bis an die Enden der Welt mit Kolonalisierung verwechselt. Was dazu führte, dass es uns heute noch schwerer fällt, Gesetz und Land zu verknüpfen. Wir trennen, was zusammengehört.


„Das Problem der westlichen Kultur ist jene merkwürdige Hypothese, Glauben nur so diskutieren zu können, als würde er von der Ganzheit allen Lebens in menschlichen Gemeinschaften getrennt. Das geht nur in Gesellschaften, die Religion privatisiert haben.“

Lesslie Newbigin

Zusammengefasst: Der Christ des Westens sieht kein Gesetz, kein Land und keinen Zusammenhang zwischen den beiden. Kein Wunder, dass wir blind sind. Das hat mir die Augen geöffnet, warum ich mich oft so hilflos, ausgeliefert, machtlos fühlte. Also machte ich mich auf den Weg, die geheimnisvolle Verbindung zwischen Gesetz und Land näher zu erkunden.

Ich hatte ja versprochen, zu zeigen, warum ich seit 2019 besonders im Altern Testament Trost und Hoffnung finde. Heute haben wir den zweiten Stein angehoben. Wir fanden keinen Samen, wir fanden ein Silbernugget: Wer weise ist, versteht die Verknüpfung zwischen Gesetz und Land. Wenn das nicht zum Weitersuchen motiviert!


Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich desses, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

Jeremia 9,22-23

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