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1) Nachfolge und Zukunft

Vortrag Nummer eins der Gemeindefreizeit 2023 der FeG Ingolstadt zum Anhören oder Nachlesen.

Hallo!

Das ist der erste Vortrag, den ich auf der Gemeindefreizeit am 30. Juni 2023 hielt, in geschriebener, etwas abgewandelter Form (die kleinen, persönlichen Geschichten am Anfang lasse ich weitestgehend weg). Manche konnten nämlich nicht dabei sein, andere haben mich gefragt, ob sie das Material haben könnten, weil es eben viel Neues und Ungewohntes war und deshalb auch etwas herausfordernd. Ihr könnt euch deshalb in drei Versionen noch einmal zu Gemüte führen, entweder zum Lesen, oder als Film zum Anschauen mit allen Folien, und wahrscheinlich etwas später auch in Podcastform zum Anhören. Der Titel „Du musst dein Ändern leben“ stammt übrigens von Rainer Maria Rilke, der für seine Poesie und Prosa weltbekannt ist und manchmal eher düster und wenig christlich rüberkommt. Dieses Zitat aber könnte meiner Meinung nach eine kernige Zusammenfassung von Dietrich Bonhoeffers Buch „Nachfolge“ sein: Wir müssen nicht immer nur davon reden, unser Leben zu ändern, wir müssen unser Ändern vor allem auch leben, sonst bleibt unser ganzer Glaube nur theoretisches Bla-bla – Bonhoeffer nannte das „billige Gnade“. In diesem Vortrag geht es also um das Thema Nachfolge in Bezug auf die Zukunft – ein stark vernachlässigtes Thema in der christlichen Welt, völlig unterbelichtet in der systematischen Theologie, und wenn in der Eschatologie darüber gesprochen wird, dann geschieht es fast immer auf merkwürdige, weltfremde, etwas engstirnige Weise, nicht selten belehrend oder sogar Angst machend. Dieser Vortrag ist ein Versuch, größeres Interesse für ein Thema zu wecken, das Gott sehr am Herzen liegt.


Hier auch als Videovortrag.

Als wir 2006 aus einem bayerischen Dörflein kommend in den multikulturellen Nordosten Göteborgs zogen, war das nicht nur ein Umzug ins Ausland. Vor allem wurde es zur Zeitreise. In der neuen Heimat sah man plötzlich mehr Burkas als in Bayern Lederhosen. Als Weiße waren auf einmal wir so unterlegen, wie Schwarze es im bayerischen Dörflein waren. Schnell wurde mir klar: Hier sind wir in der Zukunft gelandet! In nur wenigen Jahrzehnten würde nämlich ganz Europa so oder ähnlich aussehen, zumindest in den Großstädten.

Gleichzeitig hatten wir den ungewöhnlichen Auftrag, „neue Ansätze für Kirche in einer veränderten Welt“ zu finden. In Schweden waren einige nämlich der Meinung, Gemeinde hätte es nicht geschafft, mit all den umwälzenden Veränderungen zwischen 1900 und 1999 Schritt zu halten. Schnell wurde für uns daraus „neue Wege für die Gemeinde der Zukunft“ zu finden. Denn eins war klar: Die gesellschaftliche Veränderungsgeschwindigkeit würde im neuen Millennium kaum abbremsen. Im Gegenteil: Die Metamorphose ins 21. Jahrhundert hatte gerade erst richtig angefangen. Technologischer Fortschritt, kulturelle Vielfalt, gesellschaftliche Umbrüche würden eher zu- statt abnehmen. Was eben noch zeitgemäß klang, würde morgen schon, also 2010 vielleicht, wieder veraltet sein. Es erschien also klüger, sich gleich auf den Wandel als solches vorzubereiten. Das war übrigens, man stelle sich das mal vor, noch bevor Smartphones, Apps & Social Media unser Leben revolutionierten.

Seither haben wir als Familie eine Menge durch passive und unfreiwillige Selbstversuche gelernt. Wie es sich anfühlt, z.B. plötzlich selber Ausländer zu sein, mit allem, was alltäglich so dazugehört. Oder als Christ nicht mehr zur gesellschaftlichen Mehrheit zu gehören (also inklusive Bayerns Katholiken), sondern zu einer kleinen Minderheit unter ganz vielen, ganz anderen Weltanschauungen. Wir haben aber auch viele aktive Projekte nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip durchgeführt und dabei zahllose Menschen vieler Nationalitäten getroffen. Vor allem haben wir aus unseren mannigfaltigen Irrtümern gelernt. Zusätzlich wurde mein Internetbrowser immer gespickter mit Lesezeichen zu wichtigen Informationsquellen, die mich über große und bedeutende Veränderungen in der Welt auf dem Laufenden hielten (und es immer noch tun). Da wären wichtige Institutionen zu finden wie etwa das Stockholmer Friedensinstitut Sipri, die WHO, die UN oder wissenschaftliche Seiten wie z.B. Science Daily oder das IPCC und sehr viel mehr. Aus alledem bemerkt man mit der Zeit Trends, die, sind sie erst einmal erkannt, nur noch schwer zu ignorieren waren. Meine Arbeit bei Communitas und ALT forderte mich stets heraus, solche Trends obendrein auch theologisch und sogar akademisch zu reflektieren.

Vor ein paar Jahren staunte ich eines Tages nicht schlecht, als ich einsah, jahrelang völlig ahnungslos und ohne jemals darin ausgebildet worden zu sein eine ganz bestimmte Form der Wissenschaft mehr oder weniger professionell ausgeführt zu haben, nämlich: Zukunftsforschung! Es war eines meiner Lesezeichen in meiner Browserbibliothek, das mich unerwartet darauf brachte, nämlich die UNESCO. Dort hatte man vor einigen Jahren den Begriff futures literacy geprägt, übersetzt etwa „Zukunftsfähigkeit“. Man ist bei der UNESCO der Meinung, dass es für die Menschheit von großem Vorteil wäre, in unsicheren und schwer vorhersagbaren Zeiten „zukunftsfähiger“ zu werden. 

Genau das war mein Alltag gewesen, wenn auch in frommer Version. Das war eine sehr, sehr wohltuende Entdeckung. Endlich fühlte ich mich verstanden. Mir kommt es nämlich oft so vor, als könne man alle auf der Welt existierenden christlichen Zukunftsforscher an den Fingern einer Hand abzählen. Unter Zukunftsforschern tummeln sich zwar alle mögliche Fachrichtungen: Designer, Soziologen, Wissenschaftler aller Art, Autoren, Kaufleute, Ingenieure – aber keine Christen. 

Mir fällt der enorme Kontrast auf, wenn auf der einen Seite meines Lebens all diese Zukunftsforscher unterschiedlicher mit Begeisterung und Enthusiasmus mit Begeisterung und Enthusiasmus an großen Weltproblemen arbeiten, mit kreativen Ideen und erstaunlichen Lösungsvorschlägen kommen, während auf der anderen Seite meines Lebens viele Christen jammern, dass die Zeiten mehr so christlich sind, wie sie mal waren. Viele Christen machen heute auf mich einen desillusionierten, fast schon resignierten Eindruck. Manche entfernen sich sogar von der Gemeinde oder verlieren im schlimmsten Fall ihren Glauben. Andere warten in einer Art Schicksalsergebenheit auf die erlösende „Entrückung“ von der bösen Welt. 

Unsere Zeitreise als Familie hatte mich aber auch ganz ohne Zukunftsforschung etwas völlig anderes gelehrt: Nämlich die Zeit, in die wir „entführt“ wurden, zu segnen. Egal, wie anstrengend oder ”unchristlich” diese Zeiten auch sein mag. Diese zentrale Lektion wurde ganz wichtig für uns: Segne das Zeitalter, das dir zugeschrieben wurde. Segne die Welt, in die du gesandt, entführt oder geboren wurdest. Jammer nicht – segne! Weil dieser Segen, den wir spenden, nämlich zu unserem eigenen Segen werden wird. 

Frei nach Jeremia 29,7.

Um mir selber etwas Stabilität in der Unbegrenztheit des Neuen zu geben, habe ich ein paar Prämissen, Grundannahmen, Bedingungen formuliert, die mir einen gewissen Rahmen geben. (Übrigens habe ich über alle diese Aussagen den Artikel „Leitstrahlen“ geschrieben, in dem ich jede kurz vorstelle, gepostet auch diesem Blog am der am 11. Juli.)

Heute möchte ich nur auf eine zu sprechen kommen, die hier in der Mitte:

Gemeinde sollte den Strom leiten, nicht folgen. 

Meiner Überzeugung nach sollte Gemeinde immer Vorbild sein. Nicht Nachzügler. Das scheint uns nicht ganz so leicht zu fallen. Wir also können wir in dieser unserer Zeit wieder Vorbilder für die ganze Gesellschaft werden? Meiner Meinung nach haben wir mit zwei Problemen zu kämpfen.

Problem Nr. 1: Normalitätsverzerrung

Das ist kein typisch christliches Phänomen. Alle Menschen neigen dazu. Statistisch neigen Christen vielleicht dazu, es etwas mehr zu pflegen. Normalitätsverzerrung ist die psychologisch gut belegte Neigung des Menschen, zu dem zurückkehren zu wollen, was man als ”normal” empfindet – insbesondere in Anbetracht von lebensbedrohlichen Gefahren. Wenn also eine große Gefahr oder sogar der Tod droht, kann man das oft nicht einfach glauben oder will einfach nicht wahrhaben, dass da was auf uns zukommt. Dieses Phänomen ist recht gut erforscht und so weiß man z.B. heute, dass die Menschen in Pompeji dem Vesuv erstmal stundenlang zugeschaut haben, anstatt sich in Sicherheit zu bringen. Das war sicher eine spektakuläre, aber tödliche Show. Beim Untergang der Titanic hat man viel zu lange mit angemessenen Reaktionen gewartet, weil man die Katastrophe nicht einsehen wollte, und als man sich endlich zur Evakuierung entschieden hatte folgten die Passagiere den Anweisungen nur sehr widerwillig. 

Es gibt tausende Beispiele. Politiker, die heute ”zurück zur Normalität” versprechen. Sie versuchen, mit Hilfe eben jenes Phänomens auf Stimmenfang zu gehen. Wenn wir also als Gemeinde den Strom leiten und ihm nicht folgen wollen, müssen wir uns erstmal dieser uns innewohnende Neigung bewusst werden, um sie dann überwinden zu können.

Problem Nr. 2: Der „konservative“ Christ

Bei uns im Westen sind Christen sicher eher bekannt dafür, ”konservativ” zu sein. Das Wort ist bekanntlich mit der Konserve verwandt, und darin will man etwas bewahren, damit etwas nicht schlecht wird. Das ist an sich sehr positiv. Es heißt aber auch, dass es dem Konservativen sehr vie leichter fällt, zurück zu schauen als nach vorne. Was war, das kennt man eben. Es fühlt sich vertraut an und sicher. Dabei fühlt sich vor allem das, was in den Jahren unserer eigenen Sozialisation der passiert ist, am Vertrautesten und damit am Besten und Sichersten an. Was noch vor uns liegt, hat Potential, sich bedrohlich anzufühlen.

 

Als Christen sind wir außerdem gewöhnt, jeden Tag, oder sagen wir mal: zumindest jeden Sonntag in den alten Schriften der Bibel zu lesen. Dort lernen wir Neues aus dem Alten und finden dabei Inspiration. Nicht wahr?

Außerdem hilft uns die Kirchengeschichte und alle Theologien, die historisch entwickelt wurden, das Vergangene noch besser zu verstehen. Das ist alles gut und richtig!!! Dennoch kann diese Angewohnheit kann zum Problem werden, weil wir uns daran gewöhnen, eigentlich nur noch zurückzuschauen. Das ist auf keinen Fall schlecht, jedenfalls, so lange wir nicht verlernen, auch und vielleicht sogar vor allem nach vorn zu schauen. 

Gott ist nämlich einer, der gerne nach vorne sieht. Das geht schon ganz am Anfang in der Schöpfung los. Dort heißt es: „Es werde…!“ oder „Lasst uns…!“ Wenn man sich das genau anschaut, dann sieht das nicht so aus, als wäre hier ein Chaot am Werk, der noch sehen muss, was dabei wohl herauskommt. Im Gegenteil. Alles deutet auf einen wohlüberlebten Plan hin, der geschmiedet wurde, lange bevor die Bibel anfängt. Gott ist visionär.

Im ganzen Alten Testament geht es so weiter: Dort sind jede Menge Zukunftsvisionen, die an unterschiedliche Leute gerichtet werden, u.a. an Abraham, Mose oder die Propheten. Ganz viel handelt von dem Messias, der kommen soll. 

Im Neuen Testament geht es so weiter. Dort wird z.B. der heilige Geist vorausgesagt, die Ausbreitung der Gemeinde, aber auch Verfolgung, die Wiederkunft und der Sieg Jesu, ein neuer Himmel und eine neue Erde.

Paulus nutzt diese Ankündigungen um aufzurufen: Haltet durch! Gebt nicht auf! Nur dass ihr’s schon mal wisst: So wird es kommen! Haltet euch bei der Stange! Verlasst nicht die Gemeinde! Gott hat alles im Griff! Verlasst Euch drauf!

Die Offenbarung wurde uns NICHT gegeben, um einen Fahrplan zu erstellen, wann was wie und in welcher Reihenfolge passieren wird. Dazu ist die Offenbarung, ehrlich gesagt, viel zu ungenau und lässt viel zu viel Raum für Spekulationen, über die ja auch ewig gestritten wurden – nicht immer so konstruktiv. Die Offenbarung wurde uns gegeben, damit wir bis zum Ende durchhalten, weil dieses Ende es wert ist. Und damit wir bis zum Schluss eine kleine Vorschau des großen Happy Ends in dieser chaotischen, oft furchtbaren Welt sein sollen. 

Wenn man sich jetzt mal anschaut, in welche Richtung Gott meistens schaut, und in welche Richtung wir meistens schauen, könnt ihr erkennen, dass da etwas nicht so recht zusammenpassen will? Dass hier etwas gegeneinander läuft? 

Leider gibt es da aber sogar noch ein kleines Problem.

Wenn wir sehr viel zurückschauen und fleißig die Bibel lesen – was sehr gut, richtig und wichtig ist, dann sind wir uns nur leider nicht immer im Klaren darüber, dass zwischen uns und den biblischen Ereignissen sehr, sehr viel Geschichte liegt. Oft Kirchengeschichte. Und diese Geschichte wirkt auf uns wie ein Filter, durch den wir zwangsläufig alles deuten, was wir in der Bibel lesen. Wenn ich z.B. auf mein Kameraobjektiv einen gelben Farbfilter setze, dann sieht logischerweise alles gelblich aus. Genau so ist das auch mit der Geschichte. 

Da hat z.B. mal ein gewisser Dante Alighieri einen Roman namens ”Die göttliche Komödie” geschrieben und dabei eine schaurig-schöne Beschreibung eines Platzes namens Hölle erfunden. Dantes Roman hat die ganze Kirchengeschichte beeinflusst und nicht nur das – sogar unser ganzes Denken, unsere Theologie. Die meisten Menschen denken selbst im 21. Jahrhundert beim Thema „Hölle“ immer noch vor allem an Dante. Damit beeinflusst er uns heute noch immer noch – und vermutlich mehr, als die Bibel es bei diesem Thema tut.

Oder nehmen wir einen gewissen Mönch namens Martin, der gerne die Kirche reformieren wollte. Aufgrund der für ihn absolut wichtigsten und entscheidenden Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Eine sehr wichtige Frage, keine Frage! Ganz besonders für einen Mönch des 16. Jahrhunderts, der fleißig die Bibel studierte und gleichzeitig am Ablasshandel und der Werksgerechtigkeit seines ganzen Alltages verzweifelte.

Somit deuten wir die ganze Bibel durch diesen Filter, als ob das auch unsere wichtigste Frage sein muss. 

Natürlich ist die Frage nicht unwichtig, aber ein Mönch des 16. Jahrhunderts hatte sicher ganz andere Fragen als ein Bürger Roms im 3. Jahrhundert oder ein Atheist im 20. Jahrhundert.  Luthers Frage ist wichtig – sind die anderen Fragen weniger wichtig? 

Wenn wir also neu lernen wollen, konstruktiv in die Zukunft zu denken, dann ist es wichtig, sich die Geschichte so vorzustellen, wie sie sich aus der Perspektive der Betroffenen angefühlt haben mag – nicht aus unserer rückblickenden. Und das bedeutet, die Zukunft war für alle  voller Ungewissheit – genau wie bei uns. Ganz viele Dinge kamen für unsere Vorfahren AUCH wie ein Schock. Das waren oft neue, völlig unerwartete Situationen. Wir wissen heute zwar, wie alles ausgegangen ist und denken: Ja, klar haben die das so gemacht. Das wussten unsere Vorväter und Vormütter aber nicht. Denen war das alles andere als klar. 

Wie können wir von deren Zuversicht lernen? Wie kann uns deren Wagemut inspirieren? Was hatte z.B. die Wüstenväter dazu bewogen, Eremiten zu werden? Könnten wir etwas davon lernen? Warum wurden eigentlich Klöster gegründet? Was wir könnten wir heute davon lernen? Und so weiter. 

Wir müssen lernen, konstruktiv nach vorne zu schauen.

Wir müssen wagen, Fehler zu machen, um daraus zu lernen. Wir müssen Geschichte aus den Augen unserer Vorfahren sehen, die uns in all dieser Ungewissheit Vorbilder sein können. 

Das kann man lernen. Dazu gibt es Übungen und zwei ganz klitzekleine und simple Übungen für Anfänger werden wir jetzt machen. 

Eine Sache, die den Mensch vom Tier unterscheidet, ist unsere Fähigkeit, sich etwas vorstellen zu können. Wie wir gesehen haben, kann Gott sich ebenfalls Dinge ”vorstellen”, wenn man so will, auf jeden Fall fordert er unsere Phantasie immer wieder ziemlich heraus. 

Der Alttestamentler Walter Brueggemann hat den Begriff ”Prophetic Imagination” geprägt – prophetische Vorstellungskraft – und daraus eine ganze Theologie entwickelt. Er sagt, dass Israel im AT den Auftrag hatte, der Welt eine andere Wirklichkeit beispielhaft vorzuleben und ein plastisches Anschauungsobjekt für andere Völker zu sein. Das ist eine wunderbare Beschreibung für das christliche Wort „Zeugnis“: Ein plastisches Beispiel für eine andere Wirklichkeit, Gottes Reich, zu sein und zu leben.

Unsere Vorstellungskraft, unsere Phantasie ist dabei unser wichtigstes Werkzeug. Damit werden wir kreativ, und wenn wir kreativ sind, werden wir unserem Schöpfer ähnlich. (Deshalb mag ich es auch so sehr, mit Künstlern zu arbeiten.) 

Unsere Phantasie werden wir jetzt gebrauchen und herausfordern.

Übung, Teil eins (ca. 2 min)

Bitte setze Kopfhörer auf und stelle sicher, dass du für ein paar Minuten ungestört und nicht abgelenkt bist. Halte einen Stift und ein Blatt Papier für Notizen bereit (ich werde dich dazu auffordern, wenn es soweit ist). Setz dich bequem hin, führe den Mauszeiger auf das Playsymbol, schließe die Augen, drück auf Play, hör zu und folge in Gedanken den Anweisungen, die du hörst.

Du hast die Augen wieder offen? Dann notiere ein paar Details, die die aufgefallen sind, wenn du magst.

Übung, Teil zwei (ca. 2 min)

Die zweite Übung läuft genau wie die erste. Doch lass dich überraschen.

Mach auch jetzt gerne ein paar Notizen. Was ist anders als bei der ersten Übung?

Übungen wie diese trainieren unsere Phantasie und fördern unsere Vorstellungskraft. Diese beiden Übungen sind extrem simpel, doch oft reicht das schon aus.

Ein kleiner Fun-Fact:

Wenn man sich eine konkrete Situation vorstellt, die mindestens zehn Jahre in der Zukunft liegt, sehen sich ungefähr 70% der Menschen von außen, also als eine Art Out-of-Body-Erfahrung. Stellt man sich eine Situation in zeitlicher Nähe vor, erleben sie die meisten durch ihre eigenen Augen (POV- point-of-view).

Unser Vorstellungsvermögen ist unserer wichtigstes Werkzeug für gute, kluge und weise Entscheidungen, die die Zukunft betreffen. Und wie wir schon gesehen haben, spielt es eine entscheidende Rolle für unser christliches Zeugnis in der Welt, wenn wir auch in Zukunft nicht in gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit versinken wollen.

Manche mögen einwenden, dass man doch durchaus in die Zukunft plane. So sei das kommende Jahr für die Gemeinde schon recht gut geplant. Vielleicht folgt man sogar einem Fünfjahresplan. Manche haben sogar einen Siebenjahresplan. Das ist alles gut, richtig und lobenswert, doch echte, kreative Zukunftsplanung fängt erst bei zehn Jahren nach vorne an. 15, 25, 70 Jahre in die Zukunft schauen, nur, wer so denkt, kommt dazu, die wirklich wichtigen Weichen zu stellen. Das ist der Grund, warum so viele Politiker eher wie schlechtes Handpuppentheater als kluge und staatsmännische Leiter wirken: Sie sind gefangen in viel zu kurzen Legislaturperioden. So manches Problem, dass heute gelöst werden muss, hätte schon vor dreißig Jahren gelöst werden können und sollen – doch es war zu unpopulär und hätte Stimmen bei der nächsten Wahl gekostet. Eine gute Demokratie besteht daher aus einem ganzen Volk mit Weitsicht. Lasst uns als Christen anfangen und Vorbilder werden!

Wie geht das ganz konkret?

Es gibt verschiedne Methoden und Möglichkeiten. Ein großer Vorteil unserer Zeit ist, dass es enorme Datenmengen zu sozusagen jedem Thema gibt, das man sich denken kann. Es wird viel geforscht und veröffentlicht. Eine Herausforderung kann sein, die wirklich seriösen Quellen zu finden. Eingangs hatte ich schon Institutionen wie SIPRI oder die WHO erwähnt, deren Webseiten ich regelmäßig aufsuche. (Und nein, ich persönlich glaube nicht, dass all diese Institutionen von Hitler manipuliert werden, der die Welt immer noch vom Erdmittelpunkt aus steuert, und auch sonst halte ich wenig von Verschwörungsgeschichten.) Eine weitere Seite, die ich jedes Frühjahr studiere, ist die IEA (International Energy Agency). Macht man das regelmäßig, beginnt man, Trends zu erkennen. Hat man einen Trend erkannt, braucht man sie Punkte nur in die Zukunft zu verlängern und schon bekommt man ein Ahnung davon, wie dieses oder jenes in 20 Jahren aussehen könnte.

Um heute kluge Entscheidungen für morgen treffen zu können, kann es helfen, sich mit Hilfe seiner gut trainierten Vorstellungskraft eine extreme Übertreibung des Trends vorzustellen. Heute diskutieren z.B. sehr viele Gemeinden und Denominationen ihren Umgang mit der LBTQ-Frage. Ich habe mir dabei einmal vorgestellt, wie mein Leben aussähe, wenn fast ich der einzige Heterosexuelle in der Stadt wäre. Plötzlich konnte ich mir vorstellen, wie es sich anfühlt, in der Minderheit zu sein, und davon abgesehen war mir klar, dass ich weiterhin gute Beziehungen mit allen Leuten pflegen will, ob sie nun so leben wie ich oder nicht. Meine Aufgabe ist es, ein Zeugnis zu sein, ein plastisches Anschauungssubjekt des Reichs Gottes.

Oder nehmen wir als weiteres Beispiel den folgenden Trend:

Auf dem Foto sind übrigens Bohnensprossen. Hast du etwas anderes gesehen? Dann war das beabsichtigt. Denn mehrere Studien haben mittlerweile gezeigt, dass in westlichen Gesellschaften die Anzahl der befruchtungsfähigen Spermien beunruhigend zurückgeht. Betroffen sind die USA, Europa, Australien. Was man noch nicht kennt, sind die Ursachen. Bislang gibt es nur Theorien. Manche klingend erleichternd, andere Besorgnis erregend. Die Fruchtbarkeit eines Volkes gilt aber als ein wichtiger Parameter für die Gesundheit und das Wohlbefinden eines ganzen Landes. Wenn man diesen Trend nimmt, in die Zukunft verlängert und etwas übertreibt, bekommt man eine Vorstellung davon, welche Fragen in 20 Jahren beantwortet werden müssen.

  • Wie wird unser Volk überleben?
  • Wie erhalten wir unsere Wirtschafts- und Arbeitskraft?
  • Welche Rolle muss Einwanderung spielen? Wie gelingt Integration?
  • Müssen wir statt nur zur Blutspende auch zur Spermaspende aufrufen?
  • Was hätte das für ethische, biologische, juristische Konsequenzen?
  • Können wir uns überhaupt noch ein Militär leisten, wenn junge Leute ein seltener Schatz werden, den man früher für selbstverständlich nahm?
  • usw.

Die für uns relevanten Fragen wären dann: Welche Rolle kann/soll/darf Gemeinde in so einer Entwicklung spielen?

Machen wir dazu mal einen kleinen Zeitsprung ins Jahr 2070.

2070 ist weit weg, mögen viele meinen. Ich werde dann jedenfalls meinen 103. Geburtstag feiern, und ihr seid alle eingeladen. Ok, das ist vielleicht eine Spur zu optimistisch.

Andererseits:

Mit Blick auf das Alter der heutigen Weltbevölkerung und der statistischen Lebenserwartung geht die UNSESCO davon aus, das von allen heute lebenden Menschen die Hälfte das Jahr 2070 erleben wird. Die Stadt Göteborg hat schon lange einen Entwicklungsplan ”Göteborg 2070”. Da geht es u.a. darum, wie man sich als Hafenstadt vor dem steigenden Meeresspiegel schützt. 

Was wird 2070 sonst noch so 2070 abgehen? 

Es wird riesige Wanderungen geben. Von Tieren, die sich anpassen müssen. Schon heute beginnen Eisbären, sich mit Grizzlybären zu paaren. Von Pflanzen, die sich neue Standorte suchen müssen. Von Krankheiten, für die man früher teuer in die Tropen reisen musste. 2070 wird man sie sich kostenlos auch in Kopenhagen besorgen können. Und von Menschen: Man geht davon aus, dass in 50 Jahren vielleicht 3 Milliarden Menschen vor dem Klima in andere Zonen ziehen müssen. Man könnte sich z.B. fragen: Gehöre ich /mein Dorf / meine Familie zu denen, die ziehen werden müssen oder zu denen, die aufnehmen werden?

Hätten wir mehr Zeit, könnten wir auch hier unsere gottgegebene Vorstellungskraft nochmal gebrauchen und eine ähnliche Übung wie mit dem Waldspaziergang machen. Nur dieses Mal mit einem Spaziergang in deinem Wohnviertel 2070. Kein worst-case Schreckensscenario, sondern sich einfach nur so viele Details wie möglich versuchen, vorzustellen. 

Wenn wir das machen, wird das Problem an sich zwar nicht kleiner, aber es verliert seinen Schrecken. Man fühlt sich besser vorbereitet. Und man bekommt eine etwas konkretere Vorstellung von der Rolle der Gemeinde als irdische Station des Gottesreiches.

Deshalb sollten uns Dinge wie diese hier…: 

… keine Unbekannten sein. Den WEF (World Economic Forum) Global Risk Report sollte man sich ebenfalls mindestens einmal jährlich durchlesen. Auf dem Bild sind nur sechs der zehn größten globalen Gefahren und Risiken für die kommenden zehn Jahre (den vollen Bericht kann man hier finden).

Diese Dinge sollten uns nicht erdrücken, niederschlagen oder sogar lähmen – ohne die Schwere, den Ernst und die Gefahren dieser enormen Herausforderungen kleinzureden.

Stattdessen sollten sie uns motivieren. Uns anregen, beflügeln, aktivieren. 

Wenn ich also, wie schon erwähnt, mit anderen Zukunftsforschern z.B. in einem Seminar bin und wir gemeinsam eine Aufgabe lösen sollen, dann bin ich immer wieder überrascht vom kreativen Geist in solchen Gruppen, mit welcher Begeisterung die Teilnehmer gewohnt sind, an möglichen Lösungen innerhalb dieser riesigen Probleme zu arbeiten und sie oft auch zu finden.  

Wenn ich mit anderen Christen über solche Dinge ins Gespräch komme, bin ich immer wieder überrascht, mit welchem Geist der Resignation man überzeugt ist, dass alles immer schlechter wird oder man ja sowieso nichts machen könne. Manchmal wird man sogar offen dazu auffordert, nicht über diese Dinge nachzudenken oder zu reden. Nun befinde ich mich aber regelmäßig unter Menschen mit der Überzeugung, das Kirche oder Religion generell weltfremd und wissenschaftsfeindlich sei. Ich sehe mich also gezwungen, Themen wie diese mit Jesus zu verknüpfen. 

Manchmal schießt mir dann aber schon die Frage durch den Kopf: 

Wer hat hier eigentlich den Heiligen Geist?!

So steht es in 2. Tim 1:7. Röm 8:15 sagt etwas Ähnliches.

In Anbetracht aller großen Herausforderungen, die uns bevorstehen, aller Ungewissheit, die die Zukunft bedeutet, muss es sich beweisen, dass uns kein Geist der Verzagtheit gegeben wurde. Es muss sichtbar werden, dass uns ein Geist des Muts, der Kraft, der Liebe und des beherzten Handelns gegeben wurde. Die ganze Bibel ist voll mit der ständigen Wiederholung: 

Fürchtet euch nicht. 

Fürchtet euch nicht.

Fürchte dich nicht. 

Die menschliche Existenz beginnt am Anfang der Bibel mit dem Auftrag zu schaffen, zu gestalten, und zu bewahren. In einer gefallenen Schöpfung mag das sehr viel schwerer sein, aber der Auftrag wurde nie aufgehoben. Erst recht nicht jetzt, wo wir uns wieder Gottes Kinder nennen dürfen, odendrein auch nach Vorrecht haben, den Geist des Schöpfers in uns wohnen zu haben. 

Wir sind berufen, Salz und Licht zu sein. Vorbilder. Keine faden Jammerlappen. Wir sollen anpacken, bis unser Herr wiederkommt. Und wenn er wiederkommt, soll er uns vorfinden, wie wir gerade auf unterschiedlichste Weise damit beschäftigt sind, ihn würdig darin zu vertreten, das Reich Gottes für die „Zöllner und Sünder“ plastisch erfahrbar zu machen. Das muss uns immer wichtiger werden, erst recht, wo alles darauf hindeutet, dass biblische Beschreibungen z.B. aus Matt 24 und 24, oder Jesaja 24, oder Jeremia 4 plötzlich sehr viel vorstellbarer werden. Plötzlich an ganz neuer Relevanz gewinnen. 

Wir wollen wohl nicht zu denen gehören, die dem Vesuv zu lange zuschauen, um dann von ihm begraben zu werden. Wir wollen nicht zu lange warten, und als törichte Jungfrauen oder Junggesellen in die Geschichte eingehen, die verschlafen, wie die Titanic sich mit Wasser füllt, um dann mit ihr unterzugehen. Als Kinder Gottes haben wir alle Werkzeuge, die es braucht, unsere Normalitätsverzerrung überwinden zu können. 

Und damit könnte auch eine kleine Gruppe Christen oder eine ganze Gemeinde oder eine ganze Denomination oder die ganze weltweite Kirche plötzlich wieder eine völlig neue und unerwartete Relevanz gewinnen. Hier sind abschließend ein paar wenige Beispiele für unsere Stärken als Christen oder Gemeinden, die unerhört wichtig werden in den kommenden Jahrzehnten: 

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