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Die Lehre der Leere (1): Das Geschenk

„Warte! Fast hätte ich es vergessen!“

Eigentlich war mein Körper ja gerade dabei, sich nach dem anstrengenden, mehrtägigen Treffen erschöpft auf den Beifahrersitz des obligatorischen Kombimodells plumpsen zu lassen, um faul und bequem von einem netten Kollegen nach Hause chauffiert zu werden, doch wie ich plumpsenderweise meinen Chef hektisch und aufgeregt über den Rasen rasen sah, direkt auf mich zu, mir erwartungsvoll in die Augen schauend, siegte der Geist ausnahmsweise über den körperlichen Fall und ich fand mich ebenso erwartungsvoll lächelnd neben dem Volvo stehend wieder. „Chefen“ hielt einen Karton mit ziemlich merkwürdigem Muster in der Hand, und seine leicht ausgestreckte Hand, die sich langsam vorschob, ließ mich erahnen, dass die quietschgelb-knallrote Packung wohl als Geschenk an mich gedacht war.

Freudestrahlend dankte er mir für meinen enormen und vorbildlichen Einsatz im vergangenen Jahr, und ich dankte herzlich und ehrlich zurück, denn es freute mich wirklich, dass er mich eben nur fast vergessen hatte. Chefs müssen schließlich immer an mehr denken, als ihr Hirn an Dran-Denken-Kapazität zur Verfügung stellt, deswegen haben gute Chefs auch immer gute Sekretärinnen, mindestens eine, vielleicht aber auch drei oder noch mehr, und sehr gute Chefs haben ebensoviele sehr gute Sekretärinnen, die an alles denken, woran kein Chef der Welt denkt, obwohl er daran hätte denken müssen, um die Lorbeeren des Chef-Seins ernten zu können. All das wusste ich selbst nur zu gut, denn in meinem anderen Job war ich selbst so eine Art Chef, ein ganz außergewöhnlicher sogar, nämlich mit außergewöhnlich viel Luft, Staub und Spinnweben im Budget und damit ganz ohne Sekretärin, auf die ich alle Schuld schieben könnte für alles, was nicht funktioniert oder von mir vergessen wurde. Daher schätzte ich es aufrichtig, dass mein Chef ganz alleine an mich gedacht hatte, wenn auch in allerletzter Sekunde, als er mir jenen ulkigen gelb-roten Karton überreichte.

Anhand Größe und Form der Packung fürchtete ich gleichzeitig, den Inhalt erahnen zu können – eine Tasse.

Fortsetzung folgt.

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