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Die Pandemie hat auch ihr Gutes

Um jedes Missverständnis gleich auszuräumen: Alle schweren Krankheiten, erst recht solche, die zu Epidemien oder sogar Pandemien heranwachsen, verursachen unsagbar viel Leid; so viel, dass kein Mensch in der Lage ist, das auch nur ansatzweise zu begreifen. Doch vielleicht liegt gerade hier auch eine Chance.

Corona hier, Corona da. Es ist nicht gerade so, dass man zu wenig Information bekäme, im Gegenteil. Aber vielleicht zu einseitig. Mir kommt es manchmal eher wie eine riesige Nabelschau vor. Deshalb wollte ich mal vom Nabel auszoomen und habe gleichzeitig einen Schwenk in die Geschichte gemacht.

Selbst beim oberflächlichen Studium der schlimmsten Seuchen der Menschheit entdeckt man bald gewisse Gemeinsamkeiten: Der tierische Ursprung vieler Erreger zum Beispiel, wie bei der Pest oder Influenza. Oder wie jede Form des Reisens die Seuchenverbreitung begünstigte, das zeigt nicht nur die Syphilis. Nicht zuletzt kann man feststellen, dass jede Pandemie mehrere Jahre brauchte, um abzuebben. Je tödlicher, desto schneller, scheint mir. Die Spanische Grippe war nach zwei Jahren schon vorbei, hat aber in dieser kurzen Zeit möglicherweise bis zu 50 Millionen Opfer weltweit gefordert.

Wir sind wahrlich nicht die ersten

Grundsätzlich kann man wohl sagen, dass Seuchen nicht wirklich die Regel, aber auch keine Ausnahmen sind. Jetzt sind wir halt an der Reihe. Für unsere Generationen, die wir hier im Westen noch nie wirklich lebensbedrohliche Krisen auf internationalem Niveau erlebt haben, kann so eine Krankheit vielleicht ganz gesund sein. Sie erinnert uns daran, dass auch wir keine Götter, sondern verletzlich sind. Ich denke, diese Lektion ist vor allem für meine eigene Generation, die Boomers, außerordentlich wichtig. Wir sind alle in der wirtschaftswunderlichen Annahme großgeworden, dass alles immer besser, größer, schöner, weiter werden muss. Es ist völlig verständlich und nachvollziehbar, warum wir immer noch in diesem Geiste leben, unterbewusst sogar unsere eigenen Kinder so erzogen haben. Doch vielleicht braucht es eine Pandemie, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir kollektiv einer Unwahrheit auf dem Leim gegangen sind, einer recht angenehmen zwar, die aber dennoch eine Lüge bleibt.

In diesem Zusammenhang fallen mir immer Gespräche mit denen ein, die nach einer schweren Krise ausdrückten, erst durchs Leid wachgerüttelt zur Besinnung gekommen zu sein. Erst, wenn einem genommen wurde, was man für selbstverständlich hielt, lernt man, es zu schätzen. Ein hoch bezahlter Businessmann fing erst mit seiner Tochter zu spielen an, nachdem sie an Krebs erkrankt war. Müssen wir wirklich erst auf Krisen als unsere Lehrer der Weisheit warten? Oder könnte man das auch etwas rechtzeitiger einsehen?

Könnte man sicher.

Als Christen haben wir zum Beispiel extrem gute Voraussetzungen. Wir besitzen ein dickes Buch, vollgespickt mit tiefer Weisheit. In diesem Buch gibt es sogar nochmal spezielle Weisheitsbücher, die sich nur auf Reife, Einsicht und Erkenntnis konzentrieren. Uns wird obendrein ein Geist angeboten, der enorme Lebensfrüchte verspricht. Selbstbeherrschung zum Beispiel.

Selbstbeherrschung.

Wir Christen könnten wahre Weltmeister im Fasten sein. Ich meine richtiges, rigoroses, regelmäßiges Fasten, nicht nur 40 Tage auf Schokolade oder Netflix verzichten. Fasten lehrt uns, Unannehmlichkeiten zu ertragen, trainiert uns in Bescheidenheit und Dankbarkeit. Stellt euch vor, die Zeitungen der Welt würden über das Vorbild der Christen auf dem Globus berichten, die der Menschheit dienen, indem sie unsere Fleischeslust zügeln, die uns auf der Suche nach immer größeren Futterflächen für das Vieh immer tiefer in das Hoheitsgebiet wilder Tiere vordringen lässt, was immer neuere Seuchen immer wahrscheinlicher werden lässt. Wir könnten um unsere zufriedene Ausstrahlung trotz unseres bescheidenen Lebensstils beneidet werden, gerade weil eine solche Ausstrahlung weder gefaked, geschminkt noch mit Geld gekauft werden kann. Christen, so könnte es zu lesen sein, sind in ihrem normalen Alltag vergnügter als andere auf teuren Flugreisen, und begrenzen damit unnötigen Konsum.

Denn wer fasten kann, der kann auch feiern. Jeden Sonntag wird nämlich das Fasten gebrochen. Sonntags ist die Zeit der Sektkorken, Schlemmerei und Freude. Sonntags ist der Tag, wo Christen alles feiern, was die Welt nicht hat: Die Auferstehung und einen Auferstandenen. Weil wir an das Unmögliche glauben, brechen Christen nicht nur das Fasten, sondern auch andere Unmöglichkeiten: Es waren Christen, die Pestkranken gedient, Sterbenden einen würdigen Tod ermöglicht, Leichen angemessen beerdigt haben, alles unter Gefahr für das eigene Leben. Deshalb sind Christen auch heute noch ein Gebet für die Hoffnungslosen, eine Stimme der Beatmeten, ein Trost für die einsam Trauernden. Ja, Christen denken quer, könnte es heißen, aber stets zum Wohle der anderen und nie zum eigenen Vorteil. Weil sie ihren Nächsten höher achten als sich selbst, würden die Zeitungen wohl schreiben, sind sie stets freundlich und geduldig, blähen sich nie auf, ertragen alles, hoffen alles, dulden alles. Hier müsste man nicht mehr lange nach Weisheit schürfen. Hier könnte man direkt aus den Vollen schöpfen.

Das würde freilich voraussetzen, dass Glauben mehr wäre als nur die Mitgliedschaft in einer Institution oder eine im Grunde philosophische Weltanschauung. Es würde erfordern, dass Gottesdienste mehr wären als nur kostenlose Sonntagsveranstaltungen. Glaube müsste wieder ein richtig überzeugter Lebensstil werden.

Als Kulturarchitekt und Botschafter des Himmels verzeichne ich derzeit ein wachsendes Verlangen nach überzeugender Echtheit. Selten habe ich so viel Frucht beim Wachsen zugeschaut wie in den vergangenen 12 Monaten. Wenn ich das Neue Testament richtig deute, dann werden wir durch Krisen zu besseren Christen raffiniert. Das war schon in der Apostelgeschichte so. Wenn die Pandemie uns also nicht nur wachrüttelt, sondern vielleicht sogar zur Besinnung kommen lässt, dann wären wir rechtzeitig zur nächsten Krise etwas besser vorbereitet.

Und das hätte doch was Gutes.

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