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Wie Massage, die den Knoten löst

Willkommene Überraschungen aus der pfingstlerischen Theologie.

Jedes Frühjahr wird die Einführung in die Missionswissenschaft, die ich an einer großen, theologischen Ausbildungsstätte Skandinaviens unterrichte, auf den neuesten Stand gebracht. Das muss so sein, denn Missionswissenschaft ist im Grunde Kirchengeschichte, die erst noch geschrieben werden muss. Mit großem Fokus auf Gegenwart und Zukunft also, und das macht es sehr dynamisch. Man kommt an den großen Themen der Gegenwart nicht vorbei: Was ist der Auftrag und die Verantwortung von Kirche und Gemeinde z.B. in der Klimafrage?

Dazu halte ich Vorlesungen, die jährlich aktualisiert werden müssen. Das ist manchmal frustrierend, wenn ich wieder mal die neuesten Diagramme der globalen CO2-Emissionen zeigen muss:

Quelle: iea.org

Dort sieht man z.B., dass die Pandemie nur wenig CO2 gespart hat, nur ein Jahr später hatte man schon wieder ordentlich aufgeholt und 2022 gleich einen weiteren Rekord beim CO2-Ausstoß erreicht. Erbärmlich ist das und wenig hoffnungsvoll. Was also – so denkt die Weltmission – kann die Rolle von Gemeinde in solch hoffnungslosen Lagen sein?

Manchmal werde ich auch von Studenten in deren Gemeinden eingeladen, um dort darüber zu referieren. Das ist auch hoffnungsvoll, manchmal aber trotzdem traurig. Wenn etwa ich hinterher zu hören bekomme, man habe heute zum ersten Mal (!) über Bibel und Klima gleichzeitig gehört. Viele bibeltreue Christen sind offenbar der Meinung, das Klima habe nichts in der christlichen Verkündigung verloren, es sei zu liberal und würde nur das Evangelium verwässern.

Doch manchmal erscheint ein Leuchtturm am Horizont, mit dem man nicht gerechnet hatte. In diesem Fall ein Pfingsttheologe. Ich persönlich bin kein Pfingstfreund, wie schwedische Pfingstler sich selbst bezeichnen. Oft genug bekomme ich nämlich gerade von denen die kritischsten Blicke oder Kommentare: man solle sich nicht mit liberalem Klimagerede vom Evangelium ablenken lassen.

Andererseits finden sich unter anderem alle werdenden Pfingstpastoren Schwedens (ja, wirklich!) in meinem Kurs. Das kann und darf ich nicht vernachlässigen. Vor allem muss man auch sehen, dass die pentekostale Theologie in den vergangenen 50 Jahren weltweit sehr, sehr gewachsen und stark geworden ist, vor allem in den südlichen Teilen der Welt. Der Westen kann und darf sich nicht mehr länger einbilden, ganz alleine die Wahrheit der rechtgläubigen Bibelauslegung gepachtet zu haben.

Auch das muss sich in meinem Missionskurs widerspiegeln. In diesem Jahr haben wir deshalb einen Teil der Literatur ausgetauscht, ein paar Schritte weg von ausschließlich weißen, männlichen Europäern hin zu mehr Vielfalt, z.B. mehr südliche Verfasser und vor allem mehr Verfasserinnen. Und siehe da: Was in viele fromme Hirne des globalen Nordens nicht hineinzupassen scheint, ist im globalen Süden Selbstverständlichkeit. Schließlich sind die Folgen des Klimawandels dort viel einschneidender, das Leiden der Armen ist vor aller Augen. Mission ist dort auch keine Wohltätigkeitsveranstaltung der Reichen für die Armen: Gemeinde, das sind die Armen! Und selten die Reichen, wie so oft im Westen. Lass aber Arme eine Bibel lesen und sie werden etwas völlig anderes darin finden und anstreichen als unsere Hochgelehrten des Westens!

Nehmen wir zum Beispiel Miguel Álvarez, ein Pfingstler aus Guatemala, dessen Buch „Theology of Mission“ dieses Jahr zur Pflichtlektüre des Missionskurses gehört. Er schreibt:

Eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche ist die Erlösung der Schöpfung.

Die gesamte Schöpfung wartet auf ihre Erlösung (Römer 8,21-22). Wenn die Schöpfung erlöst werden muss, dann wurde an der Schöpfung gesündigt: Menschen haben gegen Gottes Schöpfung gesündigt. Sie müssen ihre Sünden bereuen, bekennen und ihre Lebensweise entsprechend ändern. Ein Teil dieser Erlösung besteht darin, die Gläubigen zu lehren und zu schulen, die Natur, ihre Flora und Fauna zu bewahren und zu pflegen. Dazu braucht es eine Theologie der Versöhnung zwischen Menschheit und der Schöpfung, die überall in Kirchen und Schulen gelehrt wird.

Tatsächlich kann das Thema globale Erwärmung nicht nur auf Politik oder Entscheidungen von Regierungsbeamten beschränkt werden. Es muss eine Initiative sein, die alle Menschen einbezieht, insbesondere die Kirche.

Miguel Álvarez, Theology of Mission, 107, eigene Übersetzung

Nimm das, du schlauer, westlicher Besserwisser (zu denen ich mich wohl leider auch selbst rechnen muss), der du dir einbildest, in deinem verschwenderischen Reichtum den Schutz der Schöpfung aus der Verkündigung ausklammern zu dürfen!

Mir persönlich tut es manchmal richtig weh, Álvarez und ähnliche Autorinnen und Autoren zu lesen, doch es ist ein guter Schmerz – wie eine Massage, die harte Knoten und Verspannungen mit Kraft und Druck langsam auflöst.

Möge der Heilige Geist, die göttliche Masseurin, nicht nachlassen, uns im Westen weiter weichzukneten. Dann besteht vielleicht tatsächlich noch Hoffnung für Gegenwart und Zukunft.

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