Zum Inhalt springen

Selig sind die geistlich Armen

… denn ihnen gehört der Himmel heute schon.

„Wenn du es verstehst, dann war es nicht Gott“

Augustinus

Das muss stimmen. Wenn doch allein schon der Friede Gottes höher ist als all unser Begreifen, wie Paulus an die Epheser schrieb, wieviel mehr muss dann Gott selbst, Ursprung dieses Friedens, jenseits der Grenzen unserer Hirne und anderer menschlichen Möglichkeiten sein, KI eingeschlossen. Schade, dass wir trotzdem so oft so erschreckend selbstsicher auftreten. In Gemeinden legen Profis die Bibel aus, als träfen sie Gott, Mose und Elia täglich zum Kaffee auf dem Horeb. Wer nicht auf jede theologische Frage eine gute Antwort hat, wird als Anfänger betrachtet. Außerhalb der Gemeinde ist das Phänomen des eingebildeten Geistesreichtums noch deutlicher. Politiker scheinen heute ja nicht mehr für visionäre Politik, sondern vor allem für Schlaumeierei gewählt zu werden, ganz demokratisch von intelligenztriefenden Wählern, die gerne am Kommentarstammtisch oder auf Besserwisserdemos geistreich klugschwätzen. Der Segen der modernen Bildung scheint sich gerade in einen postmodernen Fluch der Arroganz zu wandeln. Wissen ist eben nicht gleich Weisheit.

Kürzlich las ich über das Phänomen der Zeit, die gefühlt immer schneller vergeht, je älter man wird. Ein Grund dafür soll sein, dass wir mit zunehmenden Alter immer weniger Neues lernen. Für Babys ist erstmal alles neu, das Leben besteht aus lauter Rätseln. Kinder müssen beobachten, Sinn rein kriegen, verstehen. Der Kopf ist permanent damit beschäftigt, neue Verknüpfungen aufzubauen. Für sie sind drei Wochen so reich und damit länger als für 60-jährige ein ganzes Jahr, hieß es. Weil in älteren Hirnen die Information auf längst gebauten Autobahnen dahin rast, lebt der nicht mehr ganz so frische Mensch oft im geistigen Standby. Wir erwarten gar nichts radikal Neues mehr, wir versuchen erst gar nicht, eine neue Information ganz neu zu verknüpfen. Wir denken auf Autopilot, und der ist bequem. Kaum hören, sehen, riechen wir etwas, irgendetwas, schon ist auch schon klar, in welcher Schublade das zu landen hat. Je mehr wir im Leben gelernt haben, desto unterforderter kann die graue Masse im Alter werden, weil alles so schnell irgendeine Deutung und Erklärung findet. Anders als bei Kindern brennt der alte Kolben nur noch auf Sparflamme. Unser ganzes Wissen verfettet wie ein altes Sportlerherz und folglich ist, ruck-zuck, nach nur drei Wochen auch schon wieder Weihnachten. Im Westen nix Neues, immer nur der gleiche alte Trott. Doch weil sich in unseren Denkbahnen dann auch tiefe Spurrillen der Vorurteile bilden können, landet vieles im völlig falschen Fach, dort, wo es gar nicht hingehört. Überzeugt von unserer eigenen Klugheit merken wir die Fehler nicht einmal. Zur gefühlt einzig spannenden Abwechslung wird es dann, sich gerne über andere aufzuregen, die natürlich längst nicht so viel wissen und verstehen, wie man selbst.

Weil derzeit die komplette westliche Gesellschaft altert und immer mehr ausgeleierte Synapsen die demokratische Mehrheit bilden, ist es auch kein Wunder, dass unsere Gesellschaften gerade so aussehen, wie sie es tun. Doch wenn wir glauben, zu verstehen, dann war’s sicher nicht Gott. Es war wohl eher der Mensch in seiner Selbstherrlichkeit.

Wer Jesus folgt, wird ständig Neuem ausgesetzt. Unsicherheiten. Unerklärlichem. Sogar Gefahren. Wer die Bibel aufmerksam liest, findet viele, viele Fragen. Oft genug nur wenige Antworten. Wer Gott wirklich ergründen will, also wirklich, wird im besten Fall nur eine Nuance vom Duft der Unendlichkeit schnuppern und erlebt damit einen Hauch von Ahnung der eigenen Winzigkeit. Dieser Gott will eben keine besseren Wisser, sondern ständig staunend Suchende. Jünger. Lernende. Neugier ist Sein Geheimrezept zur Nachfolge, weil nur der tatsächlich folgt, der wirklich mehr verstehen will, und das, obwohl die Erfahrung zeigt, dass jede gefundene Antwort mindestens zwei neue Fragen wecken wird. Jenes wachsende, stille Wissen um die eigenen Grenzen wird zum Akt der Demut. Der Ursprung des Lebens ist und bleibt wie die Auferstehung ein Rätsel. Unerklärlich. Da werden Spurrillen weggefräst, neurologische Autobahnbrücken gesprengt, Denkumwege erzwungen. Alte können Kindern bleiben oder wieder dazu werden. Zeit vergeht langsamer – kindlicher, göttlicher Frieden beginnt, unsere Seele wieder mit sanftem Babyöl zu massieren, wir sind dem Himmel nahe gekommen, heute schon. Weisheit wächst langsamer als Fleisch und Blut, dafür hält sie länger. Demut ist der Aperitif der Ewigkeit. Selig sind die geistlich Armen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert