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Mein Vater, der Diktator?!

Zur Veranschaulichung meines gestrigen Kommentars zur ersten Seligpreisung möchte ich eine Auslegung des Gleichnisses vom „königlichen Hochzeitsfest“ aus Matthäus 22 beifügen. Es ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie selbstsicher wir manchmal die Bibel lesen, wie unser Fazit oft von tiefen Denkspurrillen vorherbestimmt wird und wie wenig wir deshalb in der Lage sind, uns noch immer von der Bibel überraschen zu lassen.

Ich gebe zu, die Auslegung ist nicht von mir. Sie ist von Nadia Bolz-Weber, Pastorin einer Gemeinde in den USA, die Tro&Tvivel recht ähnlich zu sein scheint. Weil ihre Art zu denken so gut zu uns passt, habe ich ihre Predigt 2023 ins Schwedische übertragen und in einem unserer Treffen verwendet. Es kam so gut an, dass ich aufgefordert wurde, es im selben Sonntagstreffen gleich zweimal hintereinander vorzutragen. Wann kommt so etwas schon vor? Doch wenn es so ist, dann können wir sicher sein, dass die Hörer wirklich aufgehorcht haben, wirklich neugierig wurden, mehr hören wollen, weil sie nicht das alte Übliche, sondern plötzlich wieder etwas von Gottes guter Nachricht in der Bibel geschmeckt haben.



Auslegung von Nadia Bolz-Weber

(eigene Übersetzung und Anpassung ans Deutsche)


In den meisten Predigten meiner Kindheit wurden Gleichnisse oft in kleine und greifbare Beispiele umgewandelt, meist mit einer moralischen Lehre am Ende. Heute jedoch denke ich: Der Versuch, die Bedeutung eines Gleichnisses festzulegen, ist genauso sinnvoll wie der Versuch, Wackelpudding an einen Baum zu nageln.

Die Kraft der Gleichnisse Jesu liegt nicht darin, dass sie zeitlose moralische Lektionen sind, sondern in ihrer endlos inspirierenden Quelle. Den wahren Sinn der Gleichnisse finden wir vor allem dann, wenn wir sie in unserem eigenen Leben lesen.

Diese Woche hatte ich jedoch eine seltsame Erfahrung. Bei dem oben genannten Gleichnis hörte ich nämlich vor allem Folgendes:

Ein König veranstaltete ein Hochzeitsbankett und lud all die anderen reichen, mächtigen Leute ein. Als diese jedoch nicht kommen wollten, zerschmetterte dies das fragile Ego des Herrschers. Also schickte er einige Sklaven, um im Namen des Königs zu präsentieren, was zum Abendessen zubereitet worden war. Als die Freunde des Königs offensichtlich nicht gerade vom Kalbskotelett beeindruckt waren, lachten sie nur und taten alles Mögliche, unter anderem töteten sie einige der Sklaven. Doch der König weigerte sich, seine Niederlage einzugestehen.

Jetzt ließ er sein Militär ausrücken. Schickte Waffen und Soldaten, um zurückzuschlagen und zu töten. Aber das war immer noch nicht genug. Um unmissverständlich zu zeigen, wer hier WIRKLICH an der Macht ist, brannte der Herrscher kurzum die ganze Stadt nieder. Die ganze Stadt.

Der unsichere König weigerte sich weiter hartnäckig, seine Niederlage einzugestehen. Also rief er den Außenminister von Georgia an und sagte: „Besorgen Sie mir sofort 11.000 Stimmen…“ nein, sorry, ich meine natürlich, der König hat dann noch mehr seiner Sklaven geschickt. um wirklich jeden heranzuschleifen, den sie irgendwo aufgabeln konnten. Alles nur, um alle Plätze für sein dummes Bankett zu besetzen. Vor allem, damit er mit den riesigen Menschenmengen prahlen kann, wie toll er ist: „Seht her, wieviele gekommen sind, um MICH zu sehen.“

Aber wer hat denn jetzt wirklich ein verletztes Ego? Sind das nicht die Menschen, die nun weinend durch die Straßen wandern und den verkohlten Müll aus ihren verbrannten Häusern in der zerstörten Stadt aufsammeln? Traurige Menschen, denen gesagt wurde, sie hätten keine andere Wahl, als zur Party des Mannes zu gehen, der für dieses Inferno verantwortlich ist. Und sie hatten ja bereits erlebt, dass er nicht besonders gut reagiert, wenn er „nein!“ zu hören bekommt.

Aus Angst ziehen dann alle brav die Festkleidung an, die ihnen an der Tür überreicht wurde, aus Angst versuchen sie so zu tun, als hätte ihr Gastgeber nicht nur ihre Stadt, sondern auch ihre Ehre niedergebrannt.

Nun, unsere Geschichte endet damit, dass der König denjenigen bemerkt, der sich nicht an die Regeln hält – derjenige, der kein Festgewand trägt.

Und als dieser tapfere, unschuldige Mann nichts zu sagen hat, lässt ihn der König in die äußerste Dunkelheit werfen. Heulen und Zähneknirschen etc.

Stellt euch das mal vor… Viele sind berufen, aber nur wenige sind auserwählt, sagt er auch noch.

Hier, bitte schön. Die Version eines Gleichnisses darüber, wie Gott wie ein gemeingefährlicher, gewalttätiger Mann mit sehr zerbrechlichen Ego und unbegrenzter Macht ist.

Es sind Momente wie diese, die mich und andere Prediger dazu bringen, die Frage zu stellen: Warum um alles in der Welt gehen wir eigentlich grundsätzlich davon aus, dass der Herrscher in dieser Geschichte, der Sklavenhalter, dieser Tyrann ausnahmslos und immer Gott darstellt?!

Nun, vielleicht liegt es daran, dass es einfacher wird, das Verhalten der Leute zu kontrollieren, wenn man ihnen sagt, dass Gott so ein launischer, wütender Bastard mit einem mörderischen Überwachungssystem ist, der immer sauer auf dich ist, weil du das „Falsche“ tust. Hier sind deshalb ein paar gruselige Geschichten darüber, was Gott alles so tun wird, wenn du nicht alle diese Regeln befolgst. Übrigens, Gott liebt dich natürlich sehr… (kann sich aber auch jederzeit ändern).

Wenn dir das bekannt vorkommt, liegt es wohl daran, dass die heiligen Schriften bei vielen von uns genau auf diese Weise als Waffe gegen uns eingesetzt wurden. Dieses besondere Gleichnis hat eine ganz schlimme Geschichte antijüdischer Interpretationen. Und vor diesem Hintergrund könnten wir versucht sein, komplett von der Bibel abzuweichen, und ich verstehe, warum das so ist, aber ich bitte dich, diese Deutung noch einmal zu überdenken. Wie ich bereits sagte, ist die heilige Schrift und die Theologie viel zu mächtig, um sie in die Hände derjenigen zu legen, die sie nur dazu nutzen wollen, ihre eigene Herrschaft über eine andere Gruppe Menschen zu rechtfertigen. Denen dürfen wir unsere Schriften niemals anvertrauen!

Denn beim Christentum geht es nicht darum, das Ego einer Person zu nähren oder einen Lebensstil zu führen, der zeigt, dass wir besser sind als als die anderen. Beim Christentum geht es nicht darum, Massen zu kontrollieren. Im Christentum geht es um die Auferweckung der Toten.

Also, meine Lieben, was also wäre, wenn das Himmelreich nicht wie dieser schikanierender König wäre?! Was wäre, wenn das Himmelreich wie jener Typ wäre, der sich weigert, mitzuspielen?

Was wäre, wenn das Himmelreich so wäre, als würde jemand auftauchen und Nein zum Imperium sagen? Was wäre, wenn das Himmelreich wie derjenige wäre, der sprachlos vor seinen Anklägern steht, der sich weigert, diesem lächerlichen Spiel Respekt zu erweisen, der sich weigert, sich dem Spott zu fügen, indem er diese albernen Fragen erst gar nicht beantwortet?

Stell dir vor, das Himmelreich sei wie jemand, der entschieden ist, das Spiel nicht mitzuspielen, das die Schwachen schikaniert. Stell dir sich vor, das Himmelreich wäre wie jemand, der vom Imperium in die Dunkelheit da draußen geworfen wird. . . Und was wäre, wenn jene schwarze Dunkelheit draußen vor der Stadt Golgatha hieße?

Denn wenn es in diesem Evangelium einen König gibt, der dem Gott ähnelt, den wir anbeten, dann sieht er aus wie der König Christus; derjenige, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben für die Welt zu geben.

Auf Golgatha betritt er die äußerste Dunkelheit des Imperiums, die Dunkelheit unserer Selbstbesessenheit, diese Dunkelheit unserer geheimen Süchte, die Dunkelheit unserer Sünden und Sorgen, die Dunkelheit unserer menschlichen Konkurrenzextravaganz. Er lässt sich nach Golgatha führen, anstatt sich den Regeln der Welt zu fügen.

Er weigert sich, das Spiel mitzuspielen. Stattdessen geht er bereitwillig in die Dunkelheit, denn genau dort soll diesem Spiel ein Ende gesetzt werden.

Und von Golgatha aus vergibt er alles.

Das heißt, als er sagte, dass die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein werden, meinte er nicht eine Wiederholung dessen, was hier und jetzt geschieht, nur halt umgedreht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass Jesus gesagt haben sollte: „Wenn euch die Starken verletzt haben, werdet ihr in meinem Königreich diejenigen sein, die dann auf sie eindreschen dürfen!“

Stattdessen erklärte er, wie die Königreiche dieser Welt so funktionieren:
Regimewechsel,
feindliche Übernahmen,
aggressive Anwälte,
sich selbst einen Namen machen, indem man die Arbeit anderer zerreißt,
über andere klatschen, um sich überlegen zu fühlen.
Es gibt zahllose Möglichkeiten, im Bereich menschlicher Bestrebungen Dominanz auszuüben.

Wenn mich jemand verletzt hat, sagt mein Ego, ich solle Vergeltung suchen – metaphorisch sozusagen die Stadt niederbrennen oder zumindest an dem Groll festhalten, als wäre er eine wertvolle Währung. Aber kein Groll, keine Vergeltung können die Schande beseitigen, verletzt oder betrogen worden zu sein. Das kann nur Vergebung bewirken. Mein Ego aber mag diese Idee nicht so sehr. Mein Ego hasst sie.

In diesem Gleichnis können wir jedoch sehen, wie Jesus nicht das gleiche Spiel spielt, wie wir es normalerweise tun. Jesus hätte die Schlacht durchaus gewinnen können, er hätte alle Kriege gewinnen können, er hätte all das Geld, Preise und Medaillen erhalten können – und doch, wie Philipper 2 sagt:

Das bedeutet, dass das Vaterunser, das Jesus den ersten seiner ihm folgenden Freunde lehrte, und das seitdem jeden Tag gebetet wird, die revolutionärste aller Aussagen sein dürfte: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.“

Weil wir diejenigen sind, die das heute beten, haben auch wir in unserer Zeit eine völlig andere Agenda als die Reiche und Machthaber dieser Welt. Wir haben nämlich demjenigen unsere Treue geschworen, der sich weigerte, Teil solcher Machtspielchen zu werden. Wir haben uns der Herrschaft des vermeintlich machtlosen Verlierers unterworfen, des Ausgestoßenen, des Fürsten des Friedens. Wir stehen auf der Seite des Typen ohne Festgewand.

Im Gegensatz zum grausamen Partytyrannen ist sein Urteil aber Vergebung. Und Barmherzigkeit. Er ist ein dienender König. Ein ausgestoßener, gekreuzigter, feindliebender König. Unter seinen durchbohrten Füßen werden alle unsere Gedanken an Überlegenheit und Phantasien von Machthaberei zermalmt. Ein Bürger seines Königreichs zu sein bedeutet, eine ganz neue, eine ganz andere Identität zu haben. Einen Wert zu verkörpern, einen Frieden zu besitzen, der nicht bedroht ist. Es gibt hier nichts zu verdienen. Es sind keine zusätzlichen Credits zu erhalten. Keine Dominanz zum Ausüben.

Freunde, ich glaube, dass Jesus uns sanft und zart in sein Königreich ruft. Er ruft uns auf, die grotesken Gewänder des Caesar-Regimes abzulegen. Er ruft uns zur Wahrheit auf, zu dem, was wirklich wichtig ist. Er ruft uns zur Vergebung und zurück aus jener Dunkelheit, die die Spiele der Welt verursachen, zurück zum Herzen Gottes.

Er ruft uns dazu auf, wieder nach Hause zu kommen.

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