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„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“

So lautet die Jahreslosung, die wie ein Lebensmotto über dem neugeborenen 2012 feierlich ausgesprochen wird. So mancher gute Wunsch, der bei Geburten, auf Kindersegnungen, Taufen oder Eheschließungen ausgesprochen und mit auf den Weg gegeben wird, ist aber spätestens dann wieder vergessen, wenn der Ernst des Lebens auch wirklich eintritt. Der Jahreslosung ergeht Jahr für Jahr ein ähnliches Schicksal. Trotzdem, irgendwie ist sie es immer wieder wert, zumindest ein paar Minuten zu bekommen, um darüber nachzudenken.

„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Über diesen kleinen Vers aus 2. Korinther 12, Vers 9 könnte ein ganzes Buch geschrieben werden. Über Paulus zum Beispiel und seinen sprichwörtlichen „Pfahl im Fleisch“ und warum er dieses Zitat überhaupt anbringt. Oder über Jesus, der machtlos Dahingeschlachtete, und warum ausgerechnet Er nun von seiner mächtigen Kraft in den Schwachen spricht. Oder man könnte auf das wortspielerische Paradox zwischen schwach und mächtig eingehen. Man könnte aber auch über das westliche Phänomen des 21. Jahrhunderts sprechen, dass nämlich die Menschen zwar immer schöner werden, aber gleichzeitig auch immer schwächer und weinerlicher. Kraft holt man sich von allerlei Pillen gegen quersitzende Fürze. Und wenn die Pillen nicht helfen, na, dann beginnt der große Jammerwettbewerb wer es am schwersten, am unmöglichsten, am stressigsten hat. Christen keineswegs ausgeschlossen.

Über all das könnte man schreiben und noch viel, viel mehr.

Mein allererster Gedanke beim Lesen der Jahreslosung ging aber woanders hin. Ich dachte an eine Institution, deren Hauptakteure sich rund 1700 Jahre als die Starken, die wirklich Mächtigen aufgespielt haben. Sie schrieben Politik, entschieden über Grenzverläufe und Menschenleben, waren in so manchen Krieg verwickelt. Sie waren so derartig stark und mächtig, dass sie die Kraft, von der Jesus hier redet, oft nicht mal im Geringsten nötig hatten. Einer der Kriege war so verheerend, dass er ganze 30 Jahre andauerte, mein Heimatland Deutschland völlig verwüstete und daher zu der allgemeinen Schlussfolgerung führte: „Wenn derartig verheerende Schäden die Resultate eines ‚christlichen‘ Glaubens sind, dann muss es ja wohl noch bessere Alternativen geben.“ Die „Alternativen“ führten zur Aufkärung, und die Aufklärung führte langsam aber sicher zur stetigen Demontage dieser mächtigen Institution, an die ich bei der Jahreslosung dachte. Klar, ich rede von der Kirche, und der Kirche schmeckt die Auflösung ihrer 1700 Jahre langen Machtposition wie Galle pur.

Viele klagen, dass es „immer schlimmer“ wird. Vielleicht ist es ja auch so. Ich finde aber, es wird wirklich langsam allerhöchste Zeit, dass auch der Kirche mal ein ordentlicher Pfahl ins Fleisch getrieben wird, warum sollte es ihr besser gehen als einem ihrer größten Vorbilder namens Paulus? Warum ich das finde? Weil die Kirche NIE dazu gedacht war, irgendwelche Machtrollen auszufüllen. Am allerwenigsten wollte Jesus das. Die Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie Ekklesia ist, die Gemeinschaft der Herausgerufenen, wenn sie sich um ihren Herrn herum versammelt, sich ihm unterordnet und ihm gehorcht. Und was macht der Herr der Kirche dann? Er sendet sie wie Schafe unter die Wölfe. Nicht umgekehrt. Das geht nicht ohne Verluste und Schmerz auf Seiten der Kirche einher, doch das ist dummerweise genau das, was der Kirche schwarz auf weiß versprochen ist: Sie soll vollenden, was am Leiden Christi noch fehlt. Erinnern wir uns an die ersten dreihundert Jahre. Damals gab es noch keine Institution Kirche. Man hielt Christen für eine Sekte und so mancher Jesusnachfolger ist wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen worden. Es war ein extrem schwacher Haufen, die Ekklesia von damals. Doch sie wuchs wie wild – ohne Radio und Internet. Sie wuchs rasant. Nie war die Kirche Europas so stark wie damals. SEINE Kraft war in den Schwachen mächtig.

Es wird Zeit, dass wir schwach werden, damit wir wieder stark sein können.

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