In Prag werde ich Ende des Monats über „Jesus-Aperitivs in säkularen Zeiten“ sprechen. Doch was ist Säkularisierung eigentlich? Die Antwort auf diese Frage entscheidet, wie wir damit umgehen. Für viele religiöse Menschen ist „Säkularisierung“ nur ein Synonym für „Frust“. Doch Frust ist selten hilfreich, um positive und bereichernde Kontraste zu bilden. Deshalb möchte ich der Säkularisierung auf die Schliche kommen.
Es gibt mehere Bereiche, in denen Säkularisierung untersuchbar oder „messbar“ ist. Einen möchte ich heute vorstellen: Die gesetzliche Säkularisierung.
Foto © Marcus Fritsch |
Dies ist ein komplexer und äußerst umfangreicher Bereich, der nahezu ein komplettes Jura- und Geschichtsstudium erfordert. Jedes Land müsste für sich untersucht werden, was die Sache noch viel größer macht. Der Einfachheit halber begrenze ich mich also auf nur ein Land – jenes, in dem ich lebe. Schweden ist außerdem herausragend, weil gewisse Dinge etwas extrem und damit besonders anschaulich sind. Hier ist eine Liste einiger Meilensteine:
1848 gab es in Schweden die erste Taufe außerhalb der schwedischen Staatskirche. Der Täufer wurde daraufhin nach geltendem Recht des Landes verwiesen.
Bis 1858 war es gesetzlich verboten, Gebetsgemeinschaften oder Bibelstunden außerhalb der schwedischen Kirche zu halten, wenn kein staatskirchlicher Pfarrer zugegen war. Ab 1858 wurde dies erlaubt. Es blieb jedoch weiterhin verboten, wenn gleichzeitig ein staatskirchlicher Gottesdienst stattfand.
1868 wurde der gesetzliche Taufzwang abgeschafft. Gleichzeitig war man nicht mehr gesetzlich gezwungen, mindestens einmal jährlich am Abendmahl teilzunehmen. Außerdem wurden nun auch außerkirchliche Gebetsgemeinschaften während der Gottesdienstzeiten gestattet.
Ab 1873 durfte man offiziell aus der Kirche austreten. Hätte man es vorher getan, wurde man nach geltendem Recht des Landes verwiesen. Die offensichtliche, starke Verbindung zwischen Kirche und Staat blieb aber bestehen. Erst im Jahre 2000 wurde eine offizielle Trennung von Kirche und Staat vollzogen – obwohl es weiterhin ein kulturelles Zusammenspiel ist. Zum Beispiel werden auch heute Teile der Kirche weiterhin von ganz normal gewählten Politikern geleitet, welche nicht selten auch theologische Entscheidungen treffen.
Bis 1949 wurde Blasphemie (d.h. alles, was nicht kirchlichen Lehren entsprach) mit Gefängnis bestraft. Dies änderte sich mit einem Gesetz zum Glaubensfrieden, das 1949 eingeführt wurde, wodurch z.B. erstmals andere Religionen wie das Judentum als Religion anerkannt und im Land gesetzlich zugelassen wurden. Mit diesem Gesetz trat eine große Wende ein: Fortan wurde der Gläubige geschützt, zuvor stand der (christliche) Glaube unter gesetzlichem Schutz.
1970 wurde das Gesetz zum Glaubensfrieden wieder abgeschafft und ersatzlos gestrichen. Seither gibt es keine besonderen Gesetze zum Religionsfrieden außer den allgemeinen Gesetzen und Paragraphen wie z.B. Beleidigung, Diskriminierung oder Volksverhetzung.
Dies ist sicher nur ein Ausschnitt aber er zeigt ziemlich deutlich, dass über einen Zeitraum von 112 Jahren eine enorme „Entglaubung“ in den Gesetzbüchern vorgenommen wurde. Im Hinblick auf die überaus starke Dominanz von Kirche und Staat ist dies teilweise auch nachvollziehbar und man ahnt, dass man leicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen kann. Gleichzeitig bestehen nach wie vor meist historisch-kulturelle Bande zwischen Kirche und Staat: Was historisch gesehen den Glauben schützen und sicherstellen sollte, lässt nun säkulare Politiker in der Kirche mitbestimmen.
Dies ist nur das Beispiel Schweden. Wer Säkularisierung wirklich verstehen will, wird nicht drumherumkommen, in seinem eigenen Land ein wenig in der gesetzgebenden Geschichte nachzugraben.