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„Die Umweltkrise ist ein geistliches Problem“

Foto oben: „Erdaufgang“, aufgenommen am Heiligabend 1968 von Apollo 9

Am 24. Dezember 1968 umrundeten die Astronauten der Apollo-9-Mission den Mond und sahen plötzlich hinter dessen Horizont die Erde aufgehen, wie man sonst die Sonne hinter dem Erdhorizont hervorkommen sieht. Die Tonaufnahme aus der Kapsel offenbart, wie angetan die Astronauten von diesem Anblick waren – Astronaut Bill Anders griff fasziniert zur Kamera und schoss spontan ein paar Bilder – eins davon sollte unter dem Titel „Earthrise“ in die Menschheitsgeschichte eingehen. Es war nämlich das erste Mal, dass Menschen ihren Planet von außen sahen, seine Schönheit als blaue Perle, aber auch seine Verwundbarkeit mit dieser extrem dünnen Atmosphäre.

Völlig unabhängig davon hatte zwei Tage zuvor Professor Lynn White jr. in Kalifornien einen längeren Vortrag über den Zustand dieses blauen Planeten gehalten. Sein Vortrag „Die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“ schlug wie eine Bombe ein und wurde Monate später als wissenschaftlicher Artikel veröffentlicht. Es wurde einer der am meisten debattierten Beiträge zum Thema Umwelt, Kultur, Politik und Wirtschaft.

Lynn White war nämlich der erste, der in seinem unglaublich kundigen und belesenen Durchgang durch die Geschichte der Landwirtschaft die Behauptung aufstellte, das judeo-christliche Weltbild fordere den Menschen offen zur Unterwerfung der Schöpfung auf, was sich gerade in jüdisch-christlich geprägten Kulturen immer mehr zur Ausnutzung der Schöpfung entwickelt habe. In anderen Kulturkreisen, so White, ließe sich das so nicht beobachten. Das wollte natürlich kein frommer Jude oder Christ auf sich sitzen lassen, und so wird bis heute heftig darüber diskutiert. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass es White weniger darum ging, einen Schuldigen an den Pranger zu stellen. Er wollte vor allem zeigen, dass der Mensch immer lebt, was er glaubt, und deswegen sind gute Kenntnisse über das eigene Glaubensfundament überlebenswichtig.

Was Menschen für die Umwelt tun,
hängt davon ab,
was sie in Bezug auf die Dinge um sie herum
über sich selbst denken.
Die menschliche Ökologie
ist von unseren tiefsten Überzeugungen
über die Natur
und unser Schicksal bestimmt –
und das heißt:
von der Religion.

Lynn White jr.

Man sagt, dass die Apollo-9-Fotos die Geburtsstunde aller Umweltbewegungen waren, weil man plötzlich sehen konnte und einsehen musste, dass großer Handlungsbedarf bestand. Was solche Umweltbewegungen angeht, waren und sind viele Christen immer eher skeptisch unterwegs. Doch das heißt nicht, dass es niemand gab, der Bibel und Schutz der Schöpfung miteinander verbinden wollte. Einer von ihnen war der australische Alttestamentler Norman Habel. Er veröffentlichte die Earth Bible, wo er sich in mehreren Bänden intensiv mit der Geschichte der Schöpfung aus Sicht der biblischen Literatur beschäftigt. Am Ende seines langen Forschens und Schreibens formulierte Habel die Schlussfolgerung:

Nachdem ich mich mehr als zwanzig Jahre lang mit Ökologie und der Bibel beschäftigt habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass White wahrscheinlich auf dem richtigen Weg war. Die Bibel als eine wichtige Kraft in der westlichen, christlichen Tradition ist nicht offensichtlich grün und wurde von Christen – ob Gelehrten oder Laien – sicher nicht als ein Werk gelesen, das uns persönlich unmittelbar mit der Natur verbindet. In der Vergangenheit hat die Bibel die Christen in ihrer Einstellung zur Schöpfung im Allgemeinen nicht gerade grün gemacht – ganz im Gegenteil!

Norman Habel

Wir Christen sind also faul darin geworden, unser Überleben mit dem Zustand des Bodens unter unseren Füßen in Verbindung zu bringen. Wir haben uns von einer buchstäblich weltfremden Geistlichkeit einlullen lassen, die – soviel kann man über das jüdische Weltbild eindeutig sagen – den Hebräern des Alten Testamentes völlig fremd war. Wie oft ist dort vom Land die Rede, vom fruchtbaren, gelobten Land! Selbst der Jude Jesus nimmt dieses Konzept in die Seligpreisungen mit auf. Als Christen sollten wir das nicht als alttestamentlich und „überholt“ vom Tisch wischen: Unser Gelobtes Land ist nicht nur Israel, wir sind sogar bis an die Enden der Erde gesandt! Der ganze Planet ist heiliger Boden für uns! Wir sollten uns über seine Fruchtbarkeit ebenso freuen, wie Israel es in seinem kleinen Lande tat. Und das bedeutet, aktive Vorbilder zu sein.

Ein anderer Wissenschaftler, der in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert wird, drückte das so aus:

Früher dachte ich, die größten Umweltprobleme seien der Verlust der biologischen Vielfalt, der Zusammenbruch von Ökosystemen und der Klimawandel.
Ich dachte, dass dreißig Jahre gute Wissenschaft diese Probleme lösen könnte.
Ich lag falsch.
Die größten Umweltprobleme sind Egoismus, Gier und Apathie, und um damit fertig zu werden, brauchen wir eine kulturelle und spirituelle Transformation.
Doch wir Wissenschaftler wissen nicht, wie so etwas geht.

Gus Speth

Doch wir Christen wissen es, wie man Leben verändert! Wir kennen die kulturelle und spirituelle Transformation. Wir verfügen über sämtliche Ressourcen, die es braucht, um die Welt auf einen besseren Kurs zu bringen. Wir haben es seit zweitausend Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, unter allen möglichen und unmöglichen Umständen. Es geht also. Lasst es uns der Welt wieder einmal zeigen.

Da die Wurzeln unserer Misere so weitgehend religiös sind, muss das Heilmittel im Wesentlichen ebenfalls religiös sein.

Lynn White jr.
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