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Der Geist des Antichrists

Neulich fand ich mich in einer Debatte über die Frage wieder, ob es den Antichrist überhaupt je geben werde. Laut klassischer Theologie ist jener berühmt-berüchtigte „Antichrist“ eine prophetisch vorausgesagte Figur, die am Ende der Zeiten eine grauenvolle Weltherrschaft antreten wird, vielleicht vom Typ Hitler hoch zehn. Das Argument gegen das Auftreten einer solchen Person war, der Begriff Antichrist komme schließlich nur zweimal in der Bibel vor, hier habe man doch wohl einen Elefanten aus der Mücke gemacht, den man jetzt mit Fleiß am Leben erhalte – vermutlich nur, um ahnungslose oder ängstliche Menschen leichter manipulieren zu können.

Darauf habe ich mich hingesetzt und meine Hausaufgaben gemacht: Das Wort ἀντίχριστος (=antichristos) kommt wirklich selten in der Bibel vor, allerdings nicht zwei-, sondern fünfmal, und nur in den Johannesbriefen, niemand anders benutzt das Wort. Einen bösen Weltherrscher am Ende der Zeit beschreiben jedoch auch andere biblische Verfasser. Sie benutzen nur andere Worte. Daniel nennt ihn einen „König“ (11,36), Paulus „den Mensch der Bosheit“ und „Sohn des Verderbens“ (2Thess 2,3), die Offenbarung „das Tier“ (Offb 13). Wer die Bibel ernst nimmt, sollte also nicht überrascht sein, wenn irgendwann irgendeine Art Überhitler nicht gerade den Titel „Der Antichrist“ auf seiner (oder ihrer?) Bürotür und Visitenkarte präsentieren wird.

Allerdings verstehe ich den Einwand durchaus, viele Christen seien so sehr von jenem Antichrist fasziniert, dass man ihn schon überall gefunden zu haben meint. Luther war fest überzeugt, der Papst sei es gewesen. Ich kenne persönlich Christen, die ernsthaft glaubten, jetzt sei es also soweit, natürlich würde Barak Obama sich bald als derjenige entpuppen. Manchen Christen scheint es eine besondere Befriedigung zu geben, als erstes mit dem eigenen Finger auf potentielle Kandidaten zeigen zu können. Oft werden gerade solche, die politische Macht haben, obendrein von der Welt als sympathisch empfunden werden, die dann aber etwas zu sagen haben, was den eigenen, frommen Überzeugungen nicht in den Kram passt, schnell und unbürokratisch zum Antichrist befördert. Auf die Dauer aber wird diese Masche fad und langweilig. Ein bisschen komisch sogar. Die genannten Einwände in der anfangs erwähnten Debatte sind also durchaus verständlich.

Wenn die Bibel aber wirklich vor einem „König“ als „Sohn des Verderbens“ warnt, dann müssten wir Christen besser darin werden, wachsam zu bleiben, ohne uns lächerlich zu machen.

Vielleicht liegt das Problem darin, dass wir uns viel zu sehr auf den Antichrist (Singular) konzentrieren. Christus selber warnte uns nämlich in seinen Endzeitreden vor vielen falschen Christussen (Plural). Der Eine wird also nicht plötzlich und unerwartet im Rampenlicht der Weltbühne auftauchen. Es scheint eine Entwicklung zu geben, die das Aufkommen eines solchen Herrschers vermutlich als logische Konsequenz erscheinen lassen wird. Darüber schreibt auch Johannes in seinem zweiten Brief (1,7). Und wenn ich es richtig deute, dann ist jeder Widerstand gegen das Aufkommen und Wüten „des Tieres“ von vornherein völlig sinn- und zwecklos (vgl. Offb 11,7 oder 13,10).

Ganz im Gegensatz zum Widerstand gegen den „Geist des Antichrists“, wie Johannes es in seinem ersten Brief nennt (4,1-3). Dieser Widerstand ist nicht nur sinnvoll, sondern ausdrücklich erwünscht und sogar dringend nötig. Doch wer oder was ist mit diesem Geist gemeint? Genau hier kamen mir ein paar sehr interessante Erkenntnisse.

Wenn Christus nämlich die Verkörperung der Liebe und Güte Gottes ist, und jener Herrscher in allem anti sein wird, dann wundert es wenig, dass er oder sie z.B. als „Mensch der Bosheit“, in der Offenbarung sogar als „Tier“ und gar nicht mehr als Mensch, also Gottes Ebenbild bezeichnet wird. Wenn Christus ein kreativer Künstler und Schöpfer ist, dann ist jener Antichristus ein destruktiver Verderber, wie Paulus ihn nennt. Wenn Gott gnädig und barmherzig herrscht, dann muss jener Antiherrscher schonungslos, hartherzig und kaltblütig sein. Wenn Gott die Liebe ist (1 Joh 4) und die Liebe „alles glaubt“ (1Kor 13), dann wird dieses Wesen hassen und alles leugnen. Mit anderen Worten, jene Kreatur wird der größte, mächtigste und unzufriedenste Motzkopf sein, den die Welt je gesehen hat. Alles, was ihm nicht passt – und das wird sehr viel sein -, wird er in seinen Gedanken unmittelbar verurteilen, hassen und niedermachen um es gleich danach, weil seine Macht es ihm erlaubt, auch in echt zu zerstören oder vernichten.

Und siehe da, plötzlich haben wir den „Geist des Antichrists“ entlarvt: Ein Geist der Unzufriedenheit, der Undankbarkeit und Besserwisserei, der sich aufständisch austobt und falschen Erlösern und den wildesten Lügengeschichten Tür und Tor öffnet.

Und siehe da, zum Zweiten, plötzlich ist der Antichrist kein prophetisches Monster der Endzeit mehr, plötzlich erkenne ich seinen Geist sogar hier und jetzt, in meinem ganz banalen Alltag, schlimmer noch, der nistet sich sogar in mir, in meinen allerpersönlichsten Gedanken ein!

Und siehe da, zum Dritten, plötzlich scheint es gar keine Unmöglichkeit mehr, „dem Antichristen“ zu trotzen: Man muss nur seinem Geist entgegentreten. Und das ist gar nicht schwer! Das geht ganz einfach durch Dankbarkeit und Zufriedenheit, indem man sich auf Gottes Güte und Gnade konzentriert und alle seine guten Gaben, die großen wie die kleinen, in demütiger Bescheidenheit entgegennimmt. Dann werden Andersdenkende und potentielle Antichristen, inklusive Päpste und Politiker, wieder zu Mitmenschen, die vielleicht nur ihr Bestes geben wollen, auch wenn sie ganz anders entscheiden und handeln, als es uns persönlich recht wäre. Und so werden wir wieder zu Christusebenbildern, die sogar ihre Feinde segnen, ihre eigene Krankheit ohne Bitterkeit tragen und ein bisschen Heilung in eine Welt des permanenten Nörgelns tragen.

Jeder kann ein ProChristus werden. Stellt euch vor, wenn allen Menschen das gelänge! Wer weiß, ob es den Antichristen dann je geben könne, weil sein Geist schon längst erstickt wäre.

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