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Selig sind die Sanftmütigen

… denn sie werden das Erdreich besitzen.

Sápni ist ein Begriff, den wenige kennen. Er fasst den Lebensraum und die Bewohner von Europas einzigem noch existierenden Urvolk zusammen, den Samen. Dieses Volk hat seine eigene Kultur, eine eigene Sprache, es schert sich nicht um Landesgrenzen der Nationalstaaten, die erst viel später gezogen wurden. Die Saminnen sind ein friedliches, naturnahes, kulturreiches Volk. Traditionell leben sie von der Rentierzucht und ziehen je nach Jahreszeit und Futterangebot mit ihren Herden von hier nach dort. Auch wenn sie sich immer schon mit dem Christentum etwas schwertaten, sind sie dennoch ein anschauliches Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn Sanftmütige das Erdreich besitzen: Ganz ohne Militär. Ohne aggressive Drohgebärden. Gewaltfrei folgen sie einfach nur ihren Tieren, für die es ja auch weder Pässe, Staatsangehörigkeiten noch Grenzkontrollen gibt. Sie leben von dem, was die Erde wachsen lässt – frei von Grundbucheinträgen und Besitzurkunden. Das kommt dem „Macht euch die Erde untertan“ der biblischen Schöpfungsgeschichte vermutlich sehr viel näher als sämtliche Auslegungen, die nach dem Sündenfall entwickelt, uns angedreht und verkauft wurden – denen das angeblich christliche Abendland viel lieber folgt: „Wir haben schließlich das göttliche Mandat, die Erde auszubeuten, also krallen wir, was wir kriegen können!“ Rücksichtslos und wenig sanftmütig.

Das bekommen die Saminnen schmerzhaft zu spüren. Es beginnt damit, dass sie keiner so wirklich ernst nimmt. Wer keiner offiziellen Nationalflagge folgt, wird belächelt. Zweitens liegen tief unter den Rentierhufen viele Erze im nordischen Boden, die Begierden wecken. Nun ratet mal, wer gewinnt, wenn ein sanftmütiges Urvolk und der Kapitalismus einen Interessenkonflikt austragen: Richtig, wie schon erwähnt, nimmt man die samischen Interessen gar nicht ernst. Drittens verursachen die Sápni kaum CO2-Ausstöße – ganz im Gegensatz zu Europa, das in Zeiten, als alle sonntags noch in Kirche gingen, die Dampfmaschine, die industrielle Revolution und den Verbrennungsmotor erfunden und in der Welt verbreitet hat. Die Saminnen aber leiden massiv unter dem Klimawandel, weil vor allem ihre Rentiere darunter leiden: Der Boden, die Nahrung, die Rhythmen, die Zugrouten, die Krankheiten, alles ändert sich, und zwar umso drastischer, je näher man den Polen kommt, das ist ein bekanntes und fatales Phänomen des Klimawandels, von dem man im vollklimatisierten SUV Mitteleuropas unter cool lackiertem Blech auf Recaro-Massagesitzen bei fettem Bass und Surroundsound aber nichts mitbekommt; erst recht nicht, wenn man dabei ganz ganz tief im Herzen „Mir gehört die Welt!“ glaubt. Viertens hat man neulich auch noch entdeckt, dass unter samischem Boden auch noch sogenannte „Seltene Erden“ schlummern, Substanzen und Elemente, die vor allem für die Herstellung von Batterien gebraucht werden. Ratet noch einmal, wofür die Saminnen jetzt gerade kämpfen! Richtig, sie setzten sich dafür ein, dass ihnen die wenigen Flächen, die ihnen nach politischen Eingrenzungen, Bergbau und Klimawandel noch geblieben sind, jetzt nicht auch noch genommen werden und dem Konsum zum Opfer fallen.

Selig sind die Sanftmütigen, ein Wort (πραΰς – praus), dass nicht oft im NT vorkommt, nur viermal, drei davon allein bei Matthäus. Sanftmut ist noch seltener als Seltene Erden. Und damit auch noch wertvoller als diese. Gier hingegen scheint der menschliche Normalzustand zu sein. Aggressives Verhalten ist viel verbreiteter. Deswegen halten wir es für normal. Der Gruppenzwang hält uns in der Kralle. Sollte unser christlicher Normalzustand nicht eher sein, wie die Saminnen einfach weiterzumachen? Sie versuchen, ihre Kultur so gut es geht weiterzuleben Nur, dass wir halt nicht unseren Herden, sondern Christus folgen, der ja auch von sich sagte, „ich bin sanftmütig (πραΰς) und von Herzen demütig“, das aber ebenso hingegeben und konsequent? Was kümmern uns Landesgrenzen, die Arroganz der Politik, die sich gerne als Wohltäter präsentiert, in Wahrheit aber nie weiter als bis zur nächsten Wahl schaut? Wir gehören zu einer anderen Wirklichkeit, dem Reich Gottes.

Die Sanftmütigen werden die Erde (γῆ – gē) erben. γῆ () ist ein wirklich großer, griechischer Begriff, er umfasst sehr, sehr viel. Sanftmut wird also ausgesprochen großzügig belohnt werden und ist damit eine echte Investition in die Zukunft. Wer dem Messias in Seiner Sanftmut und Seinem demütigen Herzen gleicht, wird mit ihm auch die ganze Erde erben. Ganz im Gegensatz zu denen, die sich die Erde heute schon krallen und sie damit langsam aber sukzessiv zerstören. Das hatte schon die junge und schwangere Maria, Mutter des Messias erkannt: Gott sieht die Niedrigen, die Mächtigen und Gewaltigen aber können sich auf ihren Untergang gefasst machen. Das ist das Evangelium: Endlich Gerechtigkeit. Der größte aller Möchtegernmachthaber, der sich ebenfalls gerne als Lichtgestalt anpreist und sich nicht scheute, selbst Jesus allen Reichtum dieser Welt zu versprechen, geht leer aus und wird, wenn er Glück hat, die Ewigkeit mit Nichts verhungern.

Die Saminnen glauben an ihr Volk, ihre Geschichte, ihre Lebensweise. Sie pflegen ihre Kultur und kämpfen für sie, aber mit Musik statt Musketen. Genauso ist es schließlich auch unser Glaube, der bestimmt, wie wir leben. Glauben wir an die Gesetze des Kapitalismus und verkaufen damit unsere Seele an die Lichtgestalt oder glauben wir an etwas ganz Anderes, viel Wertvolleres, einen verborgenen Schatz? Dann sollten wir diesen Schatz feiern, mit viel Musik und Freude. Und bereit sein, dafür auch leiden zu müssen. Gewiss, man wird uns belächeln und nicht wirklich ernst nehmen. Man wird uns vertreiben oder loswerden wollen, weil wir zu Spielverderbern werden. Man wird uns reinlegen, vertrösten, ausnutzen wollen, weil die Mächtigen ein leichtes Spiel mit uns zu haben glauben. Doch genau damit zu leben, macht die Sanftmütigen aus.


Sofia Jannok
samische Aktivistin und Künstlerin mit ihrem Lied „Schneelöwin“

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