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Die Lehre der Leere (10): Große Fragen

Gefühllos im Nebel treiben, nicht wissen ob, wann, wie man aufprallt, war ungemütlich. Hoffentlich war Gott wirklich da.

Warum war es überhaupt zu jener Leere gekommen, der ich mich nun stellte? Das war die große Frage der Stunde. Ich nahm mir Zeit, in die Leere zu horchen.

Hörte die vergessene Stimme eines Zeltevangelisten. Vor vielen Jahren predigte er im Süden Bayerns: „Die Antworten auf die großen Fragen des Lebens sind ganz einfach!“. Er wollte den Hörern Jesus nahebringen, die ultimative Antwort auf jede Frage.

War das Leben wirklich so simpel?

In freikirchlichen Kreisen wohl schon. Freikirchler, zumindest meine Generation, hatten eine Tendenz zu einfachen Schablonen. Blieb man unter sich, war das kein Problem. Ging man aber „in die Welt“, außerhalb frommer Kreise, wurde immer schnell die Spannung deutlich. Vielleicht taten sich Christen deswegen immer so schwer mit Mission.

Freikirchliche Mission war meine Sendung geworden. Ein Jahrzehnt hatte ich bewusst außerhalb frommer Kreise gelebt, um sich der komplexen, neuen „Welt“ zu stellen, Jesus als Antwort zu bringen.

Flashbacks.

Ich hörte den Mann, der gezwungen worden war, Dinge zu tun, die er sich sein ganzes Leben nicht verzeihen kann. Seinen Namen hatte ich vergessen doch sein Gesicht erkannte ich, wie er im H2O Sessel dicht vor mir saß, zitterte und mir tief in die Augen schaute. Er wollte sich taufen lassen, reingewaschen werden, aber er schaffte es nie. Nach wenigen Gesprächen war er verschwunden und ward nicht mehr gesehen.

Dann sah ich den schwulen Alten, hörte seine Stimme wieder, die mir unter Tränen sagte, er würde sich heute noch beide Beine amputieren lassen, wenn er dafür morgen hetero wäre.

Lebendige Erinnerungen. Ich sah all die Gesichter der Menschen, mit denen ich abgehangen hatte, mit manchen länger, mit manchen kürzer, sah die Übermacht der Drogen, des Alkohol, der Gangs, des Gruppendrucks. Sah alle Flüchtlinge, die mir ihre Geschichten erzählt hatten, die in meinen Ohren klangen, Geschichten von tausenden Kilometern Transport in Särgen oder Containern, Frauen, die in Europa keinem männlichen Wesen mehr trauen können, so übel waren ihre Seelen von den Penissen der Reise zugerichtet worden.

Die Welt war ein riesiges Scheißhaus. Und wahrscheinlich ist sie es immer noch. 

Meistens war es weiser gewesen, bei Begegnungen außerhalb frommer Kreise nicht mit einfachen Antworten auf keimende große Fragen zu kommen, meist war Schnauze halten und schweigend da zu sein die weitaus bessere Alternative. Wie oft hatte ich mich in diesen persönlichen Begegnungen völlig hilflos und überwältigt gefühlt? Einige freikirchliche Denkgebäude mussten im Laufe der Jahre wie Kartenhäuser in mir zusammengebrochen sein.

Ich hatte versucht, Wasser des Lebens zu versprühen, aber es goss keine trockene Wüste, sondern wurde von eisiger Kälte gebissen.

Es war zu Schnee geworden.

Fortsetzung folgt.

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