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„Das Himmelreich ist nahe“

Die Übersetzung meiner Andacht und Gesprächsgrundlage zum T&T-Cybertreff am 2. Advent.

Heute ist der 2. Advent und steht unter dem Motto „Gottes Reich ist nahe“.

Gestern Abend las ich einen Kulturkommentar in der Dagens Nyheter, geschrieben von Kristina Lindquist und mit der Überschrift Ich betrauere den Verlust meines christlichen Glaubens. Sie schreibt über ihre Erfahrungen mit der Kirche, die gar nicht immer so negativ waren, aber auch über ihr Unverständnis für die Beobachtung, dass ausgerechnet der alte, christliche Glaube wieder in Mode zu kommen scheint. Kristina Lindquist erwähnt einiges, was sie in Kirche und Bibel für wertvoll hält. Dennoch ist der christliche Glaube für sie eine starre Antwort, die sämtliche Fragen festnagelt und jegliche Neugier auf das Leben oder interessante Entdeckungen neuer Möglichkeiten in der Zukunft von vornherein ausschließt. Wenn du gläubig wirst, ist dein ganzes Leben bis in alle Ewigkeit festgelegt. Als Christ landest du wie ein Zug auf Gottes Gleis, und die Reise geht immer dorthin, wo das Gleis dich hinführt, egal, was rechts oder links zu finden sein mag. Du musst fortan nach Gottes Plan allein leben und Gott in allen Lebenslagen preisen. Deshalb entschied sie sich, den Glaube und Gemeinde wieder zu verlassen.

Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen:
Ist es das, worum es beim Himmelreich geht? Eine statische Antwort an alle, eine Antwort gleich einem Richterhammer, die jede Spontaneität und Dynamik des Lebens donnernd auslöscht?


Vor etwa einem Monat wurde eine neue Studie mit dem Titel „Gleitender Glaube“ veröffentlicht, die zu untersuchen versucht, wie junge Menschen heute in Gemeinden landen, wer von ihnen bleibt und wer nach einigen Jahren wieder weg ist. Laut dieser Studie ist Kristina Lindquist eine Ausnahme: nicht viele Menschen entscheiden sich heute bewusst dafür, Glaube und Gemeinde absichtlich wieder zu verlassen. Es ist vielmehr der Alltag, der das Leben das übernimmt: Studium, Arbeit, Kinder, Umzug, man gleitet einfach langsam raus aus den christlichen Kreisen. Ähnlich, wie man irgendwann auch hineingeglitten ist: Vielleicht, weil man christliche Eltern hatte oder Teil einer Konfagruppe war, mit der man gerne zusammen war.

Gleitender Glaube also.

Die Studie sagt übrigens auch, dass es für junge Leute beim Glauben heute weniger um Inhalte geht, also um Dogmen, Theologien, Regeln oder – vielleicht nicht ganz unwichtig – Jesus. Nein, ganz und gar nicht. Entscheidend ist eigentlich nur die eigene Erfahrung der Gemeinde als Ganzes, d.h. der Umgang mit Freunden, die Musik, oder was man so zusammen macht. Das entscheidet darüber, ob man sich als „Christ“ sieht oder nicht.

Und wieder frage ich mich, ob es das ist, was die Bibel meint, wenn ich lese: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!“ – also eine nette Gemeindekultur, die jetzt um die Ecke zu finden ist?


Vor einem Jahr oder so habe ich einen Kurzfilm gedreht, in dem ich viele Kirchen auf der ganzen Welt von innen und außen gezeigt habe. Ich selbst saß in einer großen Freikirche der Stadt auf der Empore, als ich etwas provokativ sagte:

99% aller Kirchen der Welt sind gleich.

Natürlich unterscheidet sich die bereits erwähnte Gemeindekultur etwas von Gemeinde zu Gemeinde.
Manche haben Holzbänke, andere Kinosessel,
es gibt Unterschiede im Musikstil und der Kleiderordnung.
Einige Kirchen haben furchteinflößende Kanzeln, die sich über der demütigen Gemeinde erheben, andere nur einen Notenständer.
Manche Prediger verbreiten Weihrauch, andere laufen herum wie ein eingesperrter Tiger,
manche Kirchen haben nur ein Teelicht und andere die opulenteste Bühnenbeleuchtung der Welt.
Aber abgesehen von solchen Geschmacksfragen sind alle Kirchen so ähnlich und gleichartig, dass die ganze Welt einschließlich Muslime, Hindus, Atheisten und sogar Christen glaubt: Dies ist eine Kirche, so sieht eine Kirche aus, und genauso muss eine Kirche auch sein. Mit anderen Worten: Das Reich Gottes ist nah, man braucht nur zur nächsten Kirche gehen und schon ist man mittendrin. Mal mit Weihrauch und gregorianischen Gesängen, mal mit Lasershow und Rockkonzert. Du kannst selbst wählen, was dir besser gefällt.

Ist das so?
(Und ihr ahnt es vielleicht schon – das ist eine rhetorische Frage…)


Vor einigen Wochen hatten wir eine Podcast-Aufzeichnung mit Pekka Mellergård über sein neues Buch, das sich u. a. mit den sogenannten Evangelikalen der Vereinigten Staaten beschäftigt. In dem Buch beschreibt Pekka, dass es erstaunlich viele Christen in der amerikanischen Bevölkerung gibt, die seit vielen Jahrzehnten sehr systematisch und geschickt versuchen, die Politik im ganzen Land zu beeinflussen, sogar bis ins Weiße Haus in Washington. Damit möchte man erreichen, dass das gesamte amerikanische Volk christlichen Werten folgt (oder was sie für solche halten) und nach einer christlichen Ethik lebt (oder was man eben für eine solche hält). Nur, wenn dies gelingt, so die Logik vieler einflussreicher Christen, nur dann leben wir Gottes Reich voll aus, erst dann ist es wirklich nahegekommen, und nur dann wird es geschehen, dass Christus wiederkommt. Man versucht also, die Wiederkunft Jesu durch grandiose politische Maßnahmen zu beschleunigen.

Kommt man so dem Reich Gottes wirklich einen Schritt näher?


Solche politischen Aktionen erinnern mich vor allem an die Jahrzehnte vor der Geburt Jesu, an den ursprünglichen Advent sozusagen, als das Volk Israel verzweifelt auf das Kommen des Messias wartete, der endlich wieder Ordnung in die chaotischen Zustände im Lande bringen würde, der Israel von aller Demütigung durch die Römer befreien und die Ehre des Landes wiederherstellen würde.

Aber der Messias wollte und wollte nicht erscheinen. Und die Menschen wurden immer verzweifelter. Also kam eine Gruppe von Männern auf die geniale Idee, dass das ganze Volk Israel, jeden Mann, jede Frau, jedes Kind, jeder Esel und jede Maus, ausnahmslos jeder das gesamte Gesetz für eine bestimmte Anzahl von Tagen halten und befolgen müsse, ohne auch nur den kleinsten Paragraphen zu brechen – nur DANN würde der Messias kommen und das Land retten.

Richtig, es waren die Pharisäer, die die brillante Idee hatten, die Ankunft des Messias etwas zu beschleunigen. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Israel das jemals geschafft hat. ABER: Der Messias kam trotzdem. Immerhin.Und sagte:

Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe.

Ja, man muss sich tatsächlich umdrehen, denn das Reich Gottes kommt ganz offensichtlich immer aus einer ganz anderen Richtung, als man zuerst dachte. Hätte man sich nicht umgedreht und sein ganzes Leben lang in die falsche Richtung gestarrt, tja, dann hätte man unnötig gewartet, auf etwas SEHR wichtiges gewartet und gleichzeitig völlig verpasst, dass die Party gerade hinter mir abgeht! Dumm gelaufen.

Aber diejenigen, die es gewagt haben, auch mal in eine andere Richtung zu schauen, erkannten schnell, dass das Reich Gottes überhaupt nichts mit fertigen Antworten zu tun hatte, wie Kristina Lindquist glaubt. Sondern mit Geschichten und Vergleichen, die erstmal kaum jemand versteht:

Moment mal, was hast du gerade gesagt?
Womit sollte das Reich Gottes verglichen werden?
Hey, jetzt warte doch mal, warte, was hast du damit gemeint?!

Aber bis dahin war es schon weitergezogen, um mehr Menschen zu treffen, die auch bereit sind, sich umzuwenden, um mal ein wenig genauer hinzusehen
Das Reich Gottes ist keineswegs statisch, sondern äußerst dynamisch und man ist gezwungen, in Bewegung zu bleiben und ihm zu folgen.


Da stellt sich auch bald heraus, dass das Reich Gottes keine bestimmte Kultur ist, wie man sich zu benehmen hat oder was erwartet wird. Das Reich Gottes ist eher wie eine Neugier auf das Gegenüber, das Unbekannte. Das Reich Gottes ist voller Überraschungen des Unerwarteten – und gleichzeitig ist es die Herausforderung, auch selbst Verantwortung für sein Leben zu tragen.

Außerdem stellt sich heraus, dass das Reich Gottes eben keine Kirche, kein Gebäude ist, nicht aus Orgeln und Priestergewänder besteht. Das Reich Gottes ist kein Objekt – sondern ein lebendiger Organismus. Lebenden Organismen muss mit Respekt und vorsichtiger Neugier begegnet werden. Sie können nicht „gebaut“ werden, wie viele fromme Leute oft äußern. Man kann sich nur umdrehen, beobachten, reagieren und agieren. Wir müssen eine Beziehung aufbauen. Denn das Reich Gottes ist nahe gekommen, um Vertrauen und neue Beziehungen aufzubauen.

Und schließlich stellen wir fest, dass das Reich Gottes am allerwenigsten von allem eine politisch einflussreiche Institution ist. Ganz im Gegenteil. Es scheint, als wolle Gottes Reich eher schwach erscheinen, klein, arm, dünn und zerbrechlich. Aber mutig. Unglaublich furchtlos, fast zerbrechlich, wenn man bedenkt, wie hilflos es in seinen billigen Sandalen wirkt, verglichen mit den schwer gestiefelten Truppen aller weltlichen Herrscher und den Mächten der Wirtschaftskartelle. Doch dieser kolossale Kontrast bremst das Reich Gottes keineswegs. Das Himmelreich lässt es sogar zu, zu Tode getrampelt zu werden, ohne sich zu wehren. Sehr eigenartig. Um dann wieder aufzutauchen. An den unerwartetsten Orten. Meistens hinter mir, wieder bzw. immer noch am Leben. Eine weitere Überraschung. Ich muss mich nur umdrehen, und da ist es wieder. Das scheint die Supermacht des Reiches Gottes zu sein, gegen die keine Herrscher der Welt etwas ausrichten kann: Die Auferstehung. Das Leben ist stärker als der Tod. Liebe ist stärker als Korruption und Egoismus.

Das ist das Wunder, das kein Wissenschaftler messen oder beweisen kann.
Gottes Reich ist ein andauerndes, unmögliches Phänomen.

Doch als Mensch braucht man wahrscheinlich etwas absolut und unglaublich Schönes, um wirklich glauben lernen zu können.

Heute können wir proklamieren:

Das neue Leben ist gekommen.

Das Unmögliche ist nahe.

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